Neue Serie Atombombentests

Rußlands Verteidigungsminister: Zwei bis drei Tests auf Nowaja Semlja im nächsten Jahr/ Kritik der skandinavischen Länder an Jelzin  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Das russische Verteidigungsministerium hat für das kommende Jahr die Wiederaufnahme von Atombombentests auf der Nordmeerinsel Nowaja Semlja angekündigt. Jährlich sollen zwei bis drei Atombomben unterirdisch gesprengt werden. Begründet wurde dies mit angeblich „dringenden sicherheitspolitischen Erfordernissen“. Diese Ankündigung aus Moskau ist in den skandinavischen Ländern mit großer Besorgnis aufgenommen worden. Das schwedische Außenministerium teilte gestern mit, man habe den Botschafter in Moskau angewiesen, in dieser Frage beim russischen Außenministerium vorstellig zu werden. Das Unverständnis in Skandinavien an der Ankündigung Moskaus ist vor allem vor dem Hintergrund zu sehen, daß Präsident Bush Anfang dieses Monats auf Initiative des Kongresses einen US- Teststopp für die nächsten neun Monate verkündet hatte — aber nur unter der Voraussetzung, daß kein anderes Land Atombombentests vornimmt. Frankreich hatte schon im April dieses Jahres einen zeitweiligen einseitigen Teststopp verkündet und an die anderen Atommächte appelliert, sich dem Stopp anzuschließen.

Präsident Jelzin hatte nach den letzten Tests auf Nowaja Semlja einen Teststopp verhängt, der Ende dieses Monats ausläuft. Vorstöße bezüglich einer Verlängerung hatte er stets mit Hinweis auf die USA und deren nicht eingestellte Tests beantwortet. Noch bei seinem Amtsantritt hatte Jelzin sich unzweideutig festgelegt: „Wenn ich etwas zu sagen habe, wird es in Rußland keine Atombombentests mehr geben“, hatte er 1990 auf einer Rede in Murmansk erklärt.

Jelzin wird in Skandinavien immer öfter vorgeworfen, sich zum Erfüllungsgehilfen der Atomwaffenlobby zu machen. „Der militärindustrielle Komplex hat einen wachsenden Einfluß auf Jelzin, ein Einfluß, der in den letzten Monaten rapide zugenommen hat.“ Mit dieser Einschätzung war kürzlich der Arzt Ola Schenström, Vorsitzender der schwedischen Sektion der „ÄrztInnen gegen Atomkrieg“, von einer zweiwöchigen Reise einer Delegation dieser Organisation durch mehrere der ehemaligen Sowjetrepubliken nach Stockholm zurückgekehrt. Schenström hatte von mehreren Seiten übereinstimmend bestätigt erhalten, daß die Laboratorien und Spezialfabriken zur Entwicklung von Atomwaffen wie zu Zeiten der Sowjetunion arbeiteten. Eine Einschätzung, die der jetzige Beschluß des Moskauer Verteidigungsministeriums zur Wiederaufnahme der Tests aus „sicherheitspolitischen Gründen“ offenbar bestätigt.

Die Erklärung des Verteidigungsministeriums in Moskau kommt zeitgleich mit der Eröffnung einer viertägigen internationalen Konferenz über die Folgen von Atombombentests, die am Mittwoch im nordrussischen Archangelsk begonnen hat, zu der Initiativen gegen Atomwaffen und Atomkrieg eingeladen haben. Archangelsk liegt unmittelbar südlich der Inselgruppe Nowaja Semlja. Zu den Themen, die auf der Konferenz diskutiert werden, gehört auch eine Untersuchung, wonach die instabile geologische Struktur von Nowaja Semlja die Insel für Atombombentests höchst ungeeignet erscheinen läßt. Schon bei früheren Tests war es zu Rißbildungen gekommen, durch die radioaktive Gase entwichen waren. So auch beim letzten Test im Oktober 1990, als eine schwedische Meßstation das bei dem unterirdischen Versuch freigesetzte radioaktive Gas Xenon-133 maß.

Nowaja Semlja war bereits in den fünfziger und sechziger Jahren sowjetisches Atombombentestgebiet gewesen. Danach wurden die Tests aus praktischen und klimatischen Gründen in der heutigen Republik Kasachstan konzentriert. Selbst im mehrere hundert Kilometer von Nowaja Semlja entfernt liegenden Norwegen waren in den sechziger Jahren stark erhöhte radioaktive Werte gemessen worden.