: Lachen ohne Lücken
■ Hamburgs Zahntechniker-Innung besteht 100 Jahre / Ausstellung in der Handwerkskammer zeigt die Geschichte des Zahnersatzes
Hartmut Stemmans Großvater hat um 1892 noch als Friseurgeselle das Extrahieren schadhafter Zähne gelernt — und auch gleich, wie danach die unschöne Lücke mit einer Kautschukprothese geschlossen wird. Mit diesem Wissen machte er sich als sogenannter „Zahnkünstler“ selbständig und trat der gerade gegründeten Innung bei. Den Beruf gab er später an Sohn und Enkel
1weiter — die Chronik der Familie ist eng mit der 100jährigen Geschichte der Hamburger Zahntechniker-Innung verbunden.
Kein Wunder also, daß Hartmut Stemmann eine umfangreiche Sammlung zahntechnischer Geräte und Exponate besitzt, die „mehrere Zimmer in meinem Haus füllt.“ Zum Innungsjubiläum werden die teilweise grob wirkenden
1Mundfüller von kommenden Montag an in der Handwerkskammer ausgestellt.
„Der Arbeitsplatz meines Großvaters ist natürlich nicht mehr mit den modernen Geräten zu vergleichen“, erklärt der 60jährige Hartmut Stemmann und setzt sich noch einmal an die rohe Holzbank. Aber der Fachmann und Sammler weiß: „Das Prinzip des künstlichen Zahnersatzes wurde schon im Jahre 500 vor Christus angewandt.“
Allerdings dienten die Zähne aus Elfenbein oder Tierknochen damals nur der Schönheit, denn Zahnlücken galten zu allen Zeiten als Makel. Kraftvolles Zubeißen war damit nicht möglich. Selbst George Washington, erster Präsident der USA, ließ sich bei Staatsbanketten nach der Suppe herausrufen — weil er festes Essen mit seinem Gebiß nicht zerkleinern konnte.
Heute stellen in Hamburg 132 zahntechnische Betriebe in komplizierten Arbeitsgängen von Hand Kronen, Brücken und Vollprothesen her, die exakt jedem einzelnen Patienten angepaßt sind. „Auf den zehntel Millimeter genau“, wie
1Eberhard Schütz, Präsident des Verbandes Deutscher Zahntechniker-Innungen, betont. „Und wenn man es richtig macht, ist es ein schöner Beruf“, fügt er hinzu: „Wir bringen die Leute wieder zum Lachen.“ Es sei ein Genuß, aus einem Menschen, „der aussieht wie Frankenstein, einen schönen Menschen zu machen“.
Seit ungefähr 200 Jahren wird der künstliche Zahnersatz wissenschaftlich verbessert. Im Jahre 1802 wurde das bewegliche Gebiß erfun-
1den. Heute sitzen die bundesweit 49000 Zahntechniker an Hightech- Arbeitsplätzen.
Doch ein Problem ist geblieben: „Eine eindeutige Trennung zwischen Zahnärzten und -technikern hat nie stattgefunden“, bedauert Zahntechnikermeisterin Traute Lorat. Zwar wurden 1932 die Zahntechniker als Handwerker anerkannt; aber „noch heute kann jeder Zahnarzt sein eigenes Labor betreiben und selbst Zahnersatz herstellen.“ Torsten Schubert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen