Zum Auftakt „Bürgerglück“

■ Das Bremer Theater vor 200 Jahren / Unterhaltung mit Erziehungsauftrag / Was nicht rentiert, nützt nichts

Gustav Friedrich Wilhelm Großmann, 1743-1796Kuperstich

Es war eine Angelegenheit von höchster geistig-moralischer Wichtigkeit. Gutachten wurden eingeholt und Gegengutachten verfaßt. Sitte und Anstand standen auf dem Spiel. Die regierenden Ratsherrren waren sehr besorgt um das Wohl ihrer Untergebenen und bildeten einen leibhaftigen senatorischen Ausschuß. 1792 faßte schließlich der allerhöchste Rat den historischen Beschluß: Auch Bremen sollte endlich eine öffentliche Schaubühne erhalten.

Vom Grund der Bremer Theatergeschichte hat der Germanist Michael Rüppel die gewichtigen Argumente heraufgeholt, die die Herren Senatoren bei ihrem Streit um die Schaubühne in die Waagschale warfen. In den Augen der braven Bürger gehörte das Schauspiel zu den eher zweifelhaften Vergnügungen des unteren Standes. Nur wenige bürgerliche Intelligenzler glaubten an das Theater als moralische Anstalt, die Mehrheit fürchtete, das lose Treiben auf der Bühne könnte selbst brave Familienväter zur Nachahmung animieren. Und erst die leichtlebigen Schauspielerinnen! Was konnte man nicht alles von armen Bürgersöhnen hören oder lesen, die einer solchen verfallen waren. Von Kunst jedenfalls war nie die Rede.

Die Herren Senatoren bedachten hin und her: Die Ausga

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ben, in die so ein leichtfertiger Hausvater sich stürzen konnte: die Karten hier, die Putzsucht der Frauen und Töchter da, so ein Senator kennt das ja, womöglich auch noch ein Wirtshausbesuch hinterher — und schon übersteigen die „zufälligen Ausgaben bei weitem dasjenige, was für den Eintritt in das Schauspielhaus erleget werden muß“. Doch schließlich fand Bedenkenträger

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Theaterplakat

Christian Abraham Heineken doch noch einen Grund, der für die Einrichtung eines Schauspielhauses sprach: Daß seit der französischen Revolution soviel über Politik und die „Phrasen von Freiheit und Gleichheit, die vom jenseitigen Rheinufer nach Deutschland herüberschallten“ gesprochen wurde, fand der Senator „leicht beunruhigend“. Handwerkeraufstände lehrten die Ratsherren das Fürchten. In Bremen wurde 1791 ein Gesellenaufstand blutig niedergeschlagen. Und hier, befand Herr Heineken, könnte das Theater nützlich sein: „Ruhe des Staates heischet als Pflicht jedes Mittel, was dieser Stimmung eine andere Richtung geben und die jetzt auf einen Punkt konzentrierten Gedanken zerstreuen könnte.“ Besser also, es wird über Theater gesprochen als über Politik: „Bis zum Ekel wird jedes Stück, jede mitspielende Person gemustert, getadelt, bewundert“. Und schon wird nicht mehr über revolutionäre Ideen gestritten, sondern „über das gute oder schlechte Spiel der gestrigen Emilia“.

Beschlossen, getan. Opium für das Volk! Einzige Bedingung der Bremer Ratsherrn: Das Theater durfte nichts kosten. Weder den Bau noch die Schauspieler wollte die Stadt bezahlen. Das unternehmerische Risiko trug der Theaterdirektor. Die meisten standen regelmäßig zum Ende der Spielzeit vor dem Ruin.

22 Aktionäre schossen das Geld für den Bau vor, in sieben Wochen wurde Bremens erstes Schauspielhaus am Ostertorwall erbaut. Sogar am heiligen Sonntag wurde gearbeitet, und der erste Spielleiter, Gustav Friedrich Wilhelm Großmann, überwachte persönlich die Arbeiten. Am 16. Oktober eröffnete er die erste Spielzeit mit dem Stück „Bürgerglück“. Ein Lob auf die bürgerlichen Tugenden Fleiß, Disziplin und Sparsamkeit. So hatten es sich die Bremer Ratsherren gewünscht: Wenn schon Theater, dann ordentlich. Diemut Roether