Bauschutt und Müll wird jetzt sortiert

■ Europas größte Sortieranlage in Betrieb genommen/ Täglich bringen 120 Laster Abfall/ Müllbranche erleichtert

Berlin. Franz J. Schweitzer, Chef von Berlins größtem privaten Abfallentsorger „Alba“, hielt seine Rede zwischen Mülleimern. Das Rednerpult war aus wiederverwerteten Getränkepappen hergestellt worden. Nur in der Deutschlandfahne über Schweitzers Haupt steckten keine recycelten Abfälle. »Heute wird die modernste Sortieranlage in Betrieb genommen«, sagte der Müllchef am gestrigen Donnerstag vor Mitarbeitern und über 200 Gästen aus Politik und Wirtschaft. Kurz danach drückte der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) auf einen gelben Knopf – Motoren begannen zu brummen, Rollen quietschten, Fließbänder setzten sich in Bewegung, Absauganlagen verbreiteten ein Dröhnen, und Staub durchsetzte die Luft. Dann schoben Transportbänder in „Europas kapazitätsstärkster“ Anlage (Eigenwerbung) zerissene Pappen, zerknüllte Plastikfolien und Papierreste vor sich her.

50 Millionen Mark hat „Alba“ in der Reinickendorfer Flottenstraße verbaut und 100 Arbeitsplätze geschaffen. Doch das ist nicht der Grund, warum Diepgen von einer „Pionierleistung“ und Andreas Troge, Vizepräsident des Umweltbundesamtes (UBA), von einer „Signalwirkung weit über die Stadt hinaus“ sprachen. Denn wenn es um Müll geht, stecken Politiker und Wirtschaft bis zum Hals im Dreck. Brandenburg verweigerte auf seinen Deponien erst im Frühjahr dieses Jahres die Annahme von Berliner Bauschutt, weil der nicht sortiert war.

Seit gestern fahren täglich 120 Lastwagen in die Flottenstraße, die in Containern 400 Tonnen Gewerbeabfall und 70 Tonnen Bauschutt bringen. Der Dieselruß aus ihren Auspuffanlagen wird die Luft in dem Gewerbegebiet weiter verschmutzen, Wirtschaft und Politik aber haben allen Grund aufzuatmen. Von den jährlich 100.000 Tonnen Gewerbemüll und 17.500 Tonnen sogenannten Baumischabfällen können durch die Sortierung über zwei Drittel wiederverwertet werden. Bisher ist alles auf Deponien geworfen oder in Müllöfen verbrannt worden. Jetzt werden die wiedergewonnenen Rohstoffe bei der Produktion von Spanplatten, Karosserieteilen, Zeitungspapier, Tüten, Behältern und Videokassetten wiederverwendet.

Doch auch wenn gestern ein deutliches Aufatmen bei den Gästen zu vernehmen war, gelöst ist mit Schweitzers Sortierung Berlins Müllproblem nicht. Jedes Jahr fällt in Berlin mit 800.000 Tonnen eine achtmal so große Menge Gewerbeabfälle an, wie in der Flottenstraße verarbeitet werden kann. Noch vor dem Mauerfall wuchs der Bauschuttberg in West-Berlin jährlich um 1,5 Millionen Tonnen. Als die Mauer fiel, verschwand die Kontrolle der Abfallwege, so daß niemand mehr den Überblick hat. Schätzungsweise besteht die tägliche Müllkarawane Berliner Gewerbebetriebe inzwischen aus über 800 Lastwagen täglich. Was von ihrer Ladung nicht sortiert werden kann, wird weggeworfen.

Angesichts des Müllnotstands ist es kein Wunder, daß die Mitarbeiter der Umweltverwaltung bei der Genehmigung der Sortieranlage Schweitzer keine Knüppel zwischen die Beine werfen wollten. Berlins umsatzstärkster Müllmann hat die Anlage innerhalb von drei Jahren genehmigen und bauen lassen. Alleine das Planfeststellungsverfahren für solche Anlagen könne bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen, sagte Schweitzer.

Nach seiner Rede und der Besichtigung der Anlage gingen die Gäste ins Festzelt, in dem ein Büffet wartete. Blaumänner sollten offenbar nicht mitfeiern und mußten draußen bleiben. Vielleicht durften sie essen, was übrigblieb. Nach dem Sortieren eine Art Lebensmittel-Recycling? Dirk Wildt