Lob und Gedenken

■ Grass-Würdigung in Berlin

Björn Engholm ehrte Günter, Grass ehrte Willy Brandt. Lob- und Gedenkreden wiesen auf den 65. Geburtstag des „demokratischen Altlinken“ Günter Grass voraus, der sich in dieser Eigenschaft nach eigenem Bekunden zu den Fossilien zählt. Nicht nur eines lebenden Altlinken wurde bei der Gelegenheit gedacht. Ein Wort über Willy Brandt durfte nicht fehlen, für dessen Partei sich Günter Grass zu Beginn der sechziger Jahre als Wahlkämpfer einspannen ließ.

Am Dienstag abend ist in der Berliner Kunsthalle eine umfassende Ausstellung über das künstlerische Werk des „Blechtrommel“-Dichters eröffnet worden.

Als Schriftsteller, Zeichner und Bildhauer soll die Werkschau den Jubilar ehren. Zur Eröffnung drängelte sich das schicke Berlin in der engen Cafeteria. Um den Dichter zu ehren, um die Ansprache Björn Engholms zu hören: „Liebe Ute, lieber Günter...“ Viel hatte der Parteivorsitzende nicht zu sagen. Die mit Verve vorgetragene Rede des Direktors der Münchener Kunstakademie, Wieland Schmied, über den Zeichner Grass überraschte hingegen durch eigentümliche Bildlichkeit: „Hier zeichnet einer, der böse ist, und ich meine, das Knirschen seiner Zähne zu hören.“ Dem Graphiker Grass, so erfuhr man, gebührt im Pantheon der Künste ein Platz neben Käthe Kollwitz und George Grosz. Und, darin stimmt der Kunstfachmann fast wörtlich mit seinem schleswig-holsteinischen Vorredner überein: Wie Grass schreibt, so zeichnet er auch. Große Überraschung.

Der Jubilar selbst — weißes Hemd, graues Jackett, olbigatorische Lesebrille, keine Krawatte — präsentierte dem illustren Publikum einen Nachruf auf Willy Brandt. Der enthielt viel Bekanntes, einige Gedichte und Gedanken, die im „Tagebuch einer Schnecke“ bereits zu finden sind. Aber Grass war es Ernst. Auch als er zwei während seines Vortrags plaudernde Herren seines Alters streng zur Ordnung rief. In die drangvolle Enge des Kulturschickeria-Auditoriums hinein, umstellt von Kameras und Mikrophonen, mit Blick auf die Gedächtniskirche, sagte der Dichter, der ohne Polit-Engagement und Feuilleton- Schelte kaum noch denkbar und lesbar ist, gehetzt über Willy Brandt: „Mir hinterläßt sein Tod das nicht zu beschwichtigende Gefühl des Verlassenseins.“

Zum Abschluß gab's noch ein Gedicht aus der „Rättin“. Die Ausstellung war eröffnet. Marion Löhndorf