Psycho-Gipfel zur Krisenbewältigung

In Birmingham wollen sich die Staats- und Regierungschefs gegenseitig Mut machen/ Die Frist für die Maastrichter Verträge läuft ab, und ihre Ratifizierung ist unsicherer denn je  ■ Von Dorothea Hahn

Berlin (taz) – Zwölf Männer kommen heute für ein paar Stunden im Kongreßzentrum von Birmingham zusammen, um sich gegenseitig Mut zu machen. Knapp zweieinhalb Monate vor dem Ablauf ihrer selbstgesetzten Frist zur Ratifizierung der Maastrichter Verträge steht den Staats- und Regierungschefs, die sich alle persönlich für das Projekt eingesetzt haben, das Wasser bis zum Hals. Die bisher drei Volksabstimmungen sprechen eine deutliche Sprache. Nur einmal – im Juni in Irland – haben die BürgerInnen eindeutig „ja“ zu den Verträgen gesagt. Bei beiden anderen Gelegenheiten siegte die Skepsis. Das knappe dänische „Nein“ im Juni verunsicherte die EG schon erheblich. Doch als sich im September auch noch die FranzösInnen nur zu einem hauchdünnen „Ja“ durchrangen, war die Krise perfekt: Wenige Tage darauf verschickte die britische Regierung, die derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, die Einladungen zum Sondergipfel in Birmingham.

Seither hat sich die Situation nicht verbessert. Im Gegenteil: Inzwischen ist auch die britische Entscheidung über die Maastrichter Verträge wieder offen. Sowohl bei der ehemals positiv eingestellten Labour-Opposition als auch im Lager der regierenden Torys wächst das Anti-Maastricht-Lager. Dem britischen Premier Major und seinem dänischen Kollegen Schlüter, der sein Volk zu einem neuen Referendum rufen will, gilt denn auch das größte Mitgefühl der Gipfelteilnehmer. Mit Blick auf die BritInnen und deren Angst vor Fernbestimmung aus Brüssel wollen sie versichern, daß die nationale Identität auch künftig gewahrt und das Prinzip der „Subsidiarität“ herrschen werde. Nach diesem Prinzip werden die politischen Entscheidungen nur dann in der EG gefällt, wenn dies nicht weiter unten auf der nationalen oder der regionalen Ebene möglich ist. Die DänInnen hingegen sollen mit Demokratieversprechen überzeugt werden.

Mehr als Absichtserklärungen– im Sinne von: „mehr Transparenz, mehr Demokratie, mehr Subsidiarität“ – und eine deftige Eurokratenschelte sind von dem heutigen Treffen nicht zu erwarten. Selbst der Inhalt der Absichtserklärung war bis gestern noch offen: Im Gegensatz zu allen vorherigen Gipfeln lag am Vortag des Sondergipfels in Birmingham kein gemeinsames Abschlußdokument vor.

Statt dessen kamen aus jeder EG-Hauptstadt unterschiedliche Vorgaben und Interessen: In Kopenhagen, wo das Parlament Anfang der Woche mehrheitlich eine Neuverhandlung der Verträge verlangt hatte, bat der Chef der konservativen Minderheitsregierung, Schlüter, um Geduld bis zum planmäßigen Gipfel im Dezember in Edinburgh. Dann werde er ein „Lösungsmodell“ vorlegen, das „weder Neuverhandlungen noch eine Änderung der Verträge“ beinhalte. Wie er dieses Kunststück gegenüber seinem Wahlvolk durchsetzen will, verriet Schlüter nicht.

Aus Paris kam der dringende Wunsch, in Birmingham die stagnierenden GATT-Verhandlungen auszuklammern, zumindest aber keine Zugeständnisse an die USA zu machen. Mitterrand dementierte allerdings die Berichte britischer Tageszeitungen, daß er den Gipfel andernfalls boykottieren werde. Und London hatte darauf gepocht, in Birmingham über die Krise im Europäischen Währungssystem (EWS) zu sprechen. Die übrigen EG-Mitglieder verhinderten dieses Ansinnen, weil ein derartiger Tagesordnungspunkt angeblich zu neuen Währungsturbulenzen geführt hätte. Die bereits geladenen Finanzminister der EG-Länder wurden daraufhin wieder ausgeladen. Jetzt werden sich außer den Chefs nur die AußenministerInnen und VertreterInnen der Brüsseler Bürokratie in Birmingham treffen.

Relativ einmütig äußerte sich hingegen das Europaparlament. Dort sprach sich bei einer Sondersitzung am Mittwoch abend eine große Koalition aus SozialdemokratInnen und Konservativen „bei aller Kritik“ für eine Unterzeichnung der Verträge ohne Änderung bis zum Jahresende aus. Gleichzeitig verlangten die ParlamentarierInnen mehr öffentliche Kontrolle der Beratungen des EG-Ministerrates. Sowohl das Europaparlament als auch die nationalen Parlamente sollten künftig stärker einbezogen werden.

Scharfe Kritik am Ministerrat übte der Präsident der EG-Kommission, Delors. Er wies die in den vergangenen Wochen europaweit– auch bei Kohl – immer beliebter gewordene Eurokratenschelte zurück. Delors hielt dem entgegen, der Rat zeige „das Bild eines geschlossenen Klubs, in dem sich die nationalen Eitelkeiten und Egoismen gegenüberstehen“.

Die Spitze dieses „geschlossenen Klubs“ will heute ein „Signal des Vertrauens“ aussenden, wie der Bonner Regierungssprecher Vogel erklärte. Ob die dazu notwendige Einmütigkeit gelingt, ist fraglich. Vorerst geistert weiter das Gerücht durch die europäischen Medien, es gebe bereits einen Geheimplan für die EG nach dem Scheitern von Maastricht. Nach diesem angeblich von Brüsseler Spitzenbeamten entworfenen Projekt, wird die Gemeinschaft dann in einer Schrumpfform – ohne Dänemark, Großbritannien und andere DissidentInnen – den weiteren Weg zur Europäischen Union gehen.