IG Medien gibt sich kämpferisch

■ Detlef Hensche zum neuen Vorsitzenden gewählt

Augsburg (taz) — Ist es Absicht? Wieder und wieder ruft Siglinde Kallnbach über Mikrofon nach dem Hausmeister des Augsburger Kongreßzentrums. Ihre Performance zu Übergriffen auf Ausländer und Asylbewerber und die deutsch-deutsche Vergangenheit, als Pausenfüller beim Gewerkschaftstag der IG Medien, hätte längst beginnen sollen, doch der Mann für die Technik ist nicht zu finden. Irritiert stehen ein paar Delegierte vor den aufgebauten Monitoren und betrachten, wie sich die Künstlerin in einer Video- Installation, ekstatisch und nackt bis auf die deutschen Farben, in deutschem Kulturmüll wälzt. Kunst? „Da habe ich Aufklärungsbedarf“, meint einer der Zuschauer und wendet sich ab.

Auch die anderen Delegierten des Gewerkschaftstages tun sich schwer. Bildende Kunst, die Arbeit an den Rotationsmaschinen der Druckindustrie, Journalismus in Bild, Wort und Ton, Ausdruckstanz, Kammermusik, die Herstellung von Papier, Pappe und Kunststoffprodukten und selbst Literatur, all das soll seit gut drei Jahren in der IG Medien zusammenwachsen, niemand weiß, weshalb es eigentlich zusammengehört, und jetzt sind auch noch die neuen Leiden der ostdeutschen Kollegen in die kleine Gewerkschaft geschwappt. Da genügt es nicht mehr, sich allein an die legendäre Schlagkraft der früheren IG Druck und Papier zu erinnern, an die politischen Überzeugungen und das eigene Durchsetzungsvermögen. Da muß eine Mannschaft her, die neben erfolgreicher Tarifpolitik auch den politischen Widerstand der Gewerkschaftsmitglieder gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Ausländerfeindlichkeit und Asylbewerberhatz formulieren kann, und dabei nicht am Tropf der Sozialdemokraten hängt.

Detlef Hensche, seit vergangenem Mittwoch neuer Vorsitzender der IG Medien, hat das gewußt und bereits als Stellvertreter des scheidenden Erwin Ferlemann auch gar nicht anders gewollt. Daß Hensche bei der Wahl als einziger Kandidat antrat und gleichwohl satte 86 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinigte, signalisierte dabei kein realsozialistisches Wahlverhalten, sondern allgemeines Vertrauen.

Der 54jährige, der nach einem Jurastudium und einem Ausflug in wissenschaftliche Tätigkeiten schon bald die ersten Karrieresprossen beim DGB erklomm und seit 17 Jahren im Hauptvorstand der IG Druck und Papier (IG Medien) sitzt, gilt in Unternehmerkreisen schon lange als einer der gefürchtetsten Dialektiker und Rhetoriker des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Eine erste Kostprobe war bereits auf dem Gewerkschaftstag zu vernehmen. Unverdrossen, und im deutlichen Unterschied zu anderen Gewerkschaftsführern, forderte Hensche erneut eine weitere Reduzierung der Wochenarbeitszeit in den kommenden Jahren. Nicht aus Eigennutz, sondern als solidarischen Akt gegenüber denen, die keine Arbeit haben, und denen, die dem Arbeitsdruck nicht mehr gewachsen sind.

Wie wenig sich eine IG Medien unter Detlef Hensche in ihren gesellschaftspolitischen Positionen auch in Zukunft von Genossen aus anderen Gewerkschaften aus den Reihen der Sozialdemokraten beeinflussen oder gar gängeln lassen will, hatten die Delegierten bereits in den vergangenen Tagen demonstriert. DGB-Chef Meyer will nach einer Abfuhr bei seiner Begrüßungsrede vom vergangenen Sonntag gar nicht mehr in Augsburg erscheinen, die Ausführungen des sozialdemokratischen Bundesvorsitzenden Björn Engholm zur derzeitigen Asylpolitik seiner Partei wurden mit eisigem Schweigen quittiert. Auch er, kommentiert Detlef Hensche, sei ja seit 1969 Mitglied der SPD, aber niemals aktiv gewesen. Dietrich Willier