Fragen bleiben offen

■ Die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe zum Fall Stolpe

taz: Frau Barbe, Ihr Fraktionsvorsitzender Klose hat erklärt, alle Abgeordneten stünden vorbehaltlos hinter Manfred Stolpe. Teilen Sie diese Auffassung?

Ich persönlich teile die Einschätzung Kloses nicht. Es sind auch nach diesem Treffen mehrere Fragen offengeblieben, und ich erwarte, daß Manfred Stolpe darauf noch antworten wird.

Welche Fragen meinen Sie?

In den Unterlagen geht es z.B. um ein Gespräch, das Stolpe mit Helmut Schmidt über die Verhängung des Kriegsrechts in Polen geführt hat. Stolpe kommt, so die Akten, in die DDR zurück und spricht als erstes mit der Stasi. Zwei Tage später bekommt er dann vom Bischof Schönherr den Auftrag, das Gesprächsergebnis dem Staatssekretariat für Kirchenfragen mitzuteilen. Uns ist nicht klar, warum er diese Informationen beiden – der Staatssicherheit und dem Bischof – mitgeteilt hat. Stolpe sagt, er sei davon ausgegangen, daß Abteilungsleiter bei der Staatssicherheit den größeren Einfluß besitzen. Das mag stimmen. Ich kann mir aber nicht erklären, warum er dann Schönherr nicht davon verständigt hat, daß er die Stasi schon unterrichtet hatte.

Welche Rolle spielt die Aussage des Ex-Stasi-Manns Roßberg?

Ich wehre mich generell dagegen, Stasi-Mitarbeiter zu Kronzeugen der Geschichte zu erklären. Im Grunde genommen muß man sie wegen Befangenheit ablehnen. Aber: Vor zwei Wochen hat Stolpe darauf verwiesen, daß die Akten eine gewisse Glaubwürdigkeit haben. Zu deren Bewertung müßten aber Zeitzeugen zu Rate gezogen werden. Er hat in diesem Zusamenhang auch Roßberg und dessen Vorgesetzten Wiegand erwähnt. Wenn man sich jetzt über die Aussage von Roßberg mokiert, muß man auch so konsequent sein zu sagen: Wir nehmen weder das Belastende noch das Entlastende zur Kenntnis. Man kann nicht das Entlastende akzeptieren und das Belastende wegweisen.

Die Recherche der Gauck-Behörde kommt zu dem Schluß, daß Stolpe nach den Maßstäben des MfS über lange Jahre ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter war.

Mit diesen Fakten müssen wir uns auseinandersetzen. Das Problem ist, daß der Wissensstand über diese Protokolle nicht gleichmäßig hoch ist. Ein großer Teil der SPD-Genossen kennt diese Unterlagen nicht. Betrüblich ist auch, daß es so etwas wie ein Nicht- Wahrnehmen-Wollen gibt. Ich kann zwar verstehen, daß es weh tut, jemanden, dem man vertraut, dabei zu ertappen, daß er nicht die Wahrheit gesagt hat. Es geht hier aber nicht um einen Strafprozeß. Es geht auch nicht darum, daß Stolpe seine Unschuld restlos beweisen muß – die Frage ist, ob er für uns als Ministerpräsident noch glaubwürdig ist.

Was würden Sie Stolpe raten?

Ich rate ihm, die Wahrheit zu sagen. Jetzt steht seine Aussage gegen die von Roßberg. Stolpe hat erklärt, er werde die Leute verklagen, die die Unwahrheit sagen. Es wird dann wohl zu einem Prozeß kommen. Davon und von den Untersuchungsausschüssen erwarte ich mir ein Mehr an Aufklärung. Interview: Wolfgang Gast