Oberster Richter: „Unnötiger Ballast Gorbatschow“

■ Keine „Gorbi“-Aussage im KPdSU-Prozeß

Moskau/Berlin (taz) – Italien-Besuch nein, Teilnahme am Staatsakt für Willy Brandt in Berlin ja. Zeugenaussage unabdingbar, Zeugenaussage unnötig: Fast scheint es, als ob das Oberste Verfassungsgericht Rußlands in seiner Haltung gegenüber Michail Gorbatschow mehr als nur verunsichert ist.

Seit der gestrigen Erklärung des Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes, Waleri Sorkin, ist klar: Die russische Regierung hat es auf die politische Integrität des weltweit immer noch hochangesehenen „Gorbi“ abgesehen. Nachdem Sorkin Ende September dem früheren sowjetischen Präsidenten den Reisepaß abgenommen hatte, um zu verhindern, daß dieser sich seiner „verfassungsmäßigen Pflicht“ – einer Aussage im Prozeß gegen die KPdSU – entzieht, stellte er nun fest: „Ich denke, das Gericht wird auf ihn als unnötigen Ballast verzichten. Er will nicht nur nicht helfen, die Wahrheit zu erhellen, sondern er will das Gericht auch in die Irre führen.“ Doch dessen nicht genug: Michail Gorbatschow wurde mitgeteilt, daß gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werden wird. Anklagegrund: Der ehemalige KPdSU-Chef habe Dokumente über den sowjetischen Massenmord an polnischen Offizieren bei Katyn 1943 bewußt zurückgehalten.

Gorbatschow selbst hat seine unveränderte Beurteilung des Prozesses in den letzten Tagen auf die unterschiedlichste Art und Weise formuliert. So stellte er in einem Kommentar für die Wochenzeitung Moskau News fest, daß er nicht in einem politischen Prozeß „ausgenutzt“ werden möchte. In einer französischen Zeitung warnte er dagegen ungleich schärfer vor einer „Diktatur in Rußland“, in einem Interview mit dem italienischen Fernsehen bezeichnete er das Verfahren gegen die KPdSU schließlich schlicht als „Scheißprozeß“. her Siehe auch Seite 9