Die Mafia ist schon lange unter uns

■ BKA-Experten warnen vor der Ausbreitung der italienischen Krake / Auch im Norden: Mafia erpreßte Schutzgelder / Aber es gibt noch viele andere organisierte Gauner, zum Teil im Nadelstreifen-Anzug

, zum Teil im Nadelstreifen-Anzug

Die Mafia regiert in Hamburg mit: Das behaupten diverse Experten. Und auch der als Insider geltende Schauspieler Mario Adorf, der vor kurzem in Hamburg für einen authentischen Mafia-Film vor der Kamera stand, äußerte gegenüber der „Mopo“: „Hamburgs Pizzerien zahlen Schutzgeld an die Mafia.“ Vor einem verstärkten Engagement der italienischen Gangsterorganisation sowie einer Ausbreitung der Organisierten Kriminalität (OK) warnt nun auch das Bundeskiminalamt (BKA) in Wiesbaden. Nach einem Bericht der Zeitschrift „Kriminalistik“ liegen der Bundespolizei Erkenntnisse vor, nach denen die Mafia Gewinne aus ihren illegalen Geschäften zunehmend in Deutschland investiert und die italienische Krake in den vergangenen Jahren ihre Fühler auch nach Norddeutschland ausgestreckt hat.

In dem vom BKA-Direktor Volker Gehm und BKA-Fahnderin Martina Link verfaßten Lagebericht verzeichneten die FahnderInnen im Jahr 1991 bundesweit 369 Verfahren, „die eindeutig der Organisierten Kriminialität zuzurechnen sind“. Im Rahmen dieser 369 Verfahren seien insgesamt 104937 Einzeldelikte festgestellt worden, was einer durchschnittlichen Anzahl von 285 Delikten pro Fall entspricht. Martina Link: „Der Gesamtschaden, der sich nach Auswertung der Verfahren ergibt, beträgt 3,45 Milliarden Mark.“

Dabei kam das BKA hauptsächlich Wirtschaftskriminellen sowie Rauschgiftbanden und Hehlerringen sowie Schutzgelderpressern auf die Spur: „In 86 Verfahren wurden Merkmale einer Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft gefunden.“ Außerdem registrierte das BKA im OK-Bereich 18 Morde.

Probleme bereitet den FahnderInnen hauptsächlich, daß die Hälfte aller OK-Straftäter systematisch gewerbliche Strukturen zur Tatbegehung nutzen. Volker Gehm: „Auf diese Art und Weise können sie ihre kriminellen Handlungen hinter der Fassade legaler Geschäfte nahezu unbemerkt durchführen. Gerade die Einbindung in die legale Geschäftswelt macht OK-Strukturen für Strafermittlungsbehörden so schwer erkennbar und angreifbar.“

Neben den landeseigenen Gaunerbanden sind auch ausländische Connections aktiv. Während die Polen hauptsächlich im Bereich Hehlerei ihre Profite machen, setzen Türken auf Prostitution und Heroindealerei und die Italiener neben Rauschgiftgeschäften vornehmlich auch auf Schutzgelderpressung. Auch die italienische Mafia, die gerade erst wieder wegen ihrer spektakulären Morde an Ermittlern weltweit für Schlagzeilen sorgte und die 1990 nach Schätzungen des italienischen Forschungsinstituts „Censis“ 25 Milliarden Mark Gewinn erwirtschaftete, macht sich zunehmend in Deutschland breit. Die beiden BKA-Beamten: „Doch man beschränkt sich nicht mehr nur auf die Investition illegaler Vermögenswerte. Die in den letzten Jahren steigende Zahl von Ermittlungsverfahren, die der italienischen Organisierten Krminalität zugerechnet werden, weist darauf hin, daß sich mafiose Strukturen in Deutschland etabliert haben.“

Über das Treiben von vier Mafia- Clans in der Bundesrepublik — der „sizilianischen Mafia“, der „Camorra“ sowie der „Ndrangheta“ und der „Sacra Corona Unitia“ — liegen dem BKA Erkenntnisse vor: „Die Organisierten agierten überwiegend deliktübergreifend, wobei Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Kfz-Verschiebung, Verstöße gegen das Waffengesetz und Schutzgelderpressung dominierten.“

In Norddeutschland konzentrierte die Mafia ihre Aktivitäten in den vergangenen drei Jahren auf Schutzgelderpressung und Rauschgifthandel. „Es wurden zum Schein Pizzerien eingerichtet, um vom Straßenhandel mit Betäubungsmittel wegzukommen.“ Pizzeriabesitzer, die ihre Geschäfte „sauber“ führen wollten, seien mit Gewaltandrohung gegen Familienangehörige oder mögliche Beschädigungen ihres Mobiliars unter Druck gesetzt worden. „Für den Fall, daß man den Forderungen nicht nachkam, wurden für die betreffenden Pizzerien Brandstiftungen in Auftrag gegeben.“

Mit aktuellen Erkenntnissen über das Treiben der Mafia-Clans im norddeutschen Raum wollten weder das Hamburger Landeskriminalamt noch die Bundesfahnder herausrücken. Der BKA-Sprecher zur

1taz: „Die aufgeführten Fälle sind natürlich alt.“ Ein Sprecher des Landeskriminalamts Niedersachsen: „Es gab in der Vergangenheit derartige Vorfälle. Da konnte man sich die Pizza telefonisch bestellen und nach Hause schicken lassen und bekam dafür Rauschgift frei Haus ge-

1liefert. Derzeit gibt es aber solche Fälle bei uns nicht mehr.“ In Hannover vielleicht nicht, aber in Hamburg? Polizeisprecher Wolfgang Lüdtke: „Zu laufenden Ermittlungsverfahren machen wir grundsätzlich keine Angaben.“

Kai von Appen