: Angst, Ausbeutung, Abhängigkeit
Die Personalstruktur an den wissenschaftlichen Hochschulen ist unsozial und ineffektiv: Oft bis zum 40. Lebensjahr müssen sich ■ Nachwuchsforscher
mit miesen Arbeitsbedingungen begnügen
Die Ordinarienuniversität wurde zwar in den Studentenunruhen der 60er Jahre zu Grabe getragen, doch betrachtet man die heutige Personalstruktur der wissenschaftlichen Hochschulen, so riecht es immer noch verdächtig nach dem berühmten „Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“. Nach Gutsherrenart ist die akademische Belegschaft in zwei Klassen geteilt: Auf der unteren Stufe die verniedlichend als „wissenschaftlicher Nachwuchs“ bezeichneten Doktoranden, Habilitanden und wissenschaftlichen Hilfskräfte, die trotz hoher Qualifikation meist für Hungerlöhne und unter unsicheren Arbeitsbedingungen rund zwei Drittel der gesamten Forschungsarbeit leisten. Darüber die kleine Gruppe der verbeamteten ProfessorInnen, die alle Fäden in der Hand halten.
Ein Unterschied wie zwischen Regenwurm und Ringelnatter, bemerkt Siegfried Bär in seinem vielbeachteten Buch „Forschen auf Deutsch“ zynisch: „Die einen fressen im Dunkeln Dreck, die anderen fangen fette Mäuse.“ Ausbeutung, Angst vor der Kündigung und Abhängigkeit von den ProfessorInnen — mit diesen Begriffen beschrieben auch die von der taz befragten Hamburger NachwuchsforscherInnen an der Uni ihre Situation.
1600 Mark netto pro Monat für eine 60-Stunden-Woche sind für wissenschaftliche MitarbeiterInnen (meist Doktoranden) keine Seltenheit. Zudem gleicht der Job einem Schleudersitz, denn die Arbeitsverträge sind nur auf kurze Zeiträume befristet. Doch die meisten der rund 1200 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen (Wimis) an der Hamburger Universität tragen ihr Los in stiller Demut. Schließlich möchten sie unbedingt ihren Doktortitel, und dazu kommt es auf das Wohlwollen des Professors an. Oder sie treibt das Verlangen nach der wissenschaftlichen Freiheit, die angeblich nur an den Hochschulen möglich ist. Dafür leidet man gern.
Stilles Leiden für die vermeintliche Karriere
Über die Jagd nach den wissenschaftlichen Lorbeeren vergessen die Wimis oft die Zeit. Sie halten der Hochschule die Treue, bis es für eine anderweitige Karriere zu spät ist. „Manchmal frage ich mich, ob ich nicht völlig verrückt bin“, so Heike Schlünzen, die sich seit Jahren durch Jobs in Drittmittelprojekten, d.h. fremdfinanzierten Forschungsvorhaben, des Meteorologischen Instituts über Wasser hält. Denn bald droht der Mittdreißigerin das Aus. Dann hat sie die Fünf- Jahres-Grenze erreicht, nach der Wimis den Schoß der Alma mater verlassen müssen, wenn sie nicht eine Assistentenstelle oder eine andere Tätigkeit in der Hochschule finden. Heike Schlünzens Arbeitsmarktchancen stehen schlecht. Die wenigen Stellen vergeben die Personalchefs lieber an jüngere BewerberInnen. Kurzes Studium und darauf aufbauend betriebsinterne Nachqualifizierung — so haben es die Industrie-Chefs gern.
Noch ärger als den Wimis geht es den wissenschaftlichen Hilfskräften (Wihis). Diese dürfen nur maximal vier Jahre in der Vorläufigkeit kreisen und werden anders als die Wimis nicht nach Tarif entlohnt. Die Folge: Noch schlechtere Bezahlung als bei den Wimis (1800 Mark brutto) und ein Minimum an Urlaub. Oft werden Wihis sogar unter 18 Stunden pro Woche beschäftigt und sind deshalb nicht sozial abgesichert. Diese Berufsgruppe, deren Abschaffung die Gewerkschaften lange fordern, gibt es in Hamburg nur noch in drei Einrichtungen: der Bundeswehr-Uni, dem Max-Planck-Institut und dem Deutschen Elektronen Synchroton, kurz DESY.
Wer den Sprung vom Wimi oder Wihi auf eine der wenigen Assistentenstellen schafft, hat zumindest ein kleines Stück Sicherheit dazugewonnen. Denn dort dürfen die Professoren-Lehrlinge maximal sechs Jahre verweilen. Können sie sich danach allerdings keinen Lehrstuhl oder eine sonstige Stelle sichern, kommt es zur sozialen Katastrophe. Als Beamte auf Zeit haben die Habilitanden keine Arbeitslosenversicherung eingezahlt und erhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Wissenschaftsbetrieb lediglich eine Abfindung.
Wimis, Wihis und AssistentInnen — sie alle gelten im Wissenschaftsbetrieb, obwohl bereits hoch qualifiziert und im wissenschaftlichen Alltag meist auf sich alleine gestellt, als Auszubildende ohne weitreichende Entscheidungsbefugnisse. Unangefochten stehen die Professoren an der Spitze der Hierarchie. Erst mit Ende 30 haben die Forscher-Azubis den Initiationsritus durchlaufen und werden — wenn sie Beziehungen und/oder Können besitzen — in die Reihen der verbeamteten Hochschullehrer aufgenommen. Kein Wirtschaftsunternehmen würde es sich leisten, kompetente MitarbeiterInnen so lange als Schüler zu behandeln. Die
Frage ist nur, weshalb sich der so-
genannte wissenschaftliche Nachwuchs jahrelang qualifizieren muß. Oder dient die angebliche Qualifizierung gar als Vorwand für die Aufrechterhaltung einer Ausbeutungsspirale?
Beamtentum für Professoren abschaffen?
Angesichts der Tatsache, daß sich die einstigen Stätten des zweckfreien Lernens und Erkenntnisgewinns heute zunehmend zu Dienstleistungsunternehmen in Forschung und Lehre entwickeln, ist diese Personalstruktur nicht mehr zeitgemäß. Es ist weder funktional noch sozial, Menschen in endlosen und anstrengenden Warteschleifen um Professorenstellen kreisen zu las-
sen. Manchmal mit dem Effekt, daß
die Inhaber der Prof-Positionen sich nach dem aufreibenden Daseinskampf als Wimi und AssistentIn ermattet in den Beamtenstuhl sinken lassen, um fürderhin nur noch ihren guten Namen zu verwalten.
Was der Wissenschaftsbetrieb braucht, sind Funktions- und Dienstleistungsstellen auf der mittleren Ebene, die Perspektiven bieten und Sicherheit schaffen. In diesem Zusammenhang bleibt die Frage, ob denn das Beamtentum für ProfessorInnen so sinnvoll ist. Unkündbarkeit wirkt sich bekanntermaßen nicht immer motivierend auf die Stelleninhaber aus.
Sigrun Nickel
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