Faschismus bzw. Avantgarde

■ In Delmenhorst: Eine sehr irritierende Austellung über die Architektur der Moderne

War die Architektur des Faschismus die notwendige Fortentwicklung der großartigen Baukunst der Moderne? Oder war die neoklassizistische Beeindruckungsarchitektur eines Paul Ludwig Troost oder Albert Speer eine Fehlentwicklung der Bauhaus- Avantgarde, die sich ja der Rationalität und Humanität verschrieben hatte?

Verwirrt und nachdenklich verläßt man die Städtische Galerie Delmenhorst, die dieser Tage zu einer sehenswerten und klug komponierten Doppelausstellung einlädt. Zum einen werden historische Fotos zur Architektur der Moderne (Sammlung Gössel) gezeigt. Und dazu präsentiert die Galerie einen Sohn und Stipendiaten der Kreisstadt namens Siegmund Schneider, der sich mit den Mitteln der Malerei seit vielen Jahren mit Architektur beschäftigt.

Sigi Schneider bewundert die kalte Ordnung der Architektur von Gropius, Le Corbusier, Hans Scharoun — und kritisiert sie zugleich. Er ist, so scheint es, auf der Suche nach der Idee der Moderne, ihrer Substanz, und stößt immer wieder auf die schöne, böse, menschenfeindliche Form als Resultat der Arroganz der Macht. Große Leinwände bearbeitet er mit reinen Farben, gern komplementär gegenübergestellt. Die Farbkontraste, schmerzhaft fürs Auge, bestimmen das Bild von synthetischen Stadtlandschaften; extrem fluchtende Gebäudekanten haben eine stark räumliche Wirkung, die aber durch „falsches“ Licht und „unmögliche“ Proportionen immer wieder destruiert wird.

Schneider ästhetisiert auf Teufel komm raus — und der Teufel ist die gesichtslose Macht, die diesen Stadtlandschaften alles Lebendige austreibt. Selbst sehr malerische Teile seiner Bilder, die scharf gegen die anderen monochromen Flächen abgesetzt sind, wirken nur wie Dekor: seelenlos.

Steigt man der Galerie unters Dach, ist man plötzlich in einer ganz nüchternen Ausstellung kleinformatiger Fotos, die es einem nicht leicht macht. Der Nürnberger Gestalter und Architekturhistoriker Peter Gössel hat zum Thema „Um 1930“ Bilder zur Verfügung gestellt, die an die architektonische Formensprache der vor-postmodernen Zeit seit dem Bauhaus erinnern. Da sind Fotos von Privathäusern, „Ikonen der Moderne“, etwa eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier. Als Beispiele für einen internationalen Stil werden Wolkenkratzer aus des USA gezeigt. Daneben, unauffällig eingereiht, Architektur des italienischen und deutschen Faschismus, aus Mailand, Berlin, München. Bezüge, die zu denken geben, wie auch der Beitrag von Ford/USA für die Weltausstellung 1939: ein gewalttätiger Tempel der Macht, mit einer theatralischen Lichtregie ausgeleuchtet, die für jeden Reichsparteitag gut gewesen wäre.

Eine überaus beunruhigende Ausstellung, die einen etwa vorhandenen Begriff von „faschistischer Ästhetik“ nachdrücklich irritiert.

Die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder die Pyramiden sind die großen primären Formen, die das Licht klar offenbart; ihr Bild erscheint uns rein und greifbar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die allerschönsten. Darüber ist sich jeder einig, das Kind, der Wilde und der Metaphysiker, postulierte Le Corbusier.

Die strenge Linie im Bauen der Gegenwart hat einen Sinn, der durch keine Ablehnung der Sachlichkeit aus der Welt zu schaffen ist: sie steht in enger Verbindung mit der straffen willensmäßigen Bearbeitung der Wirklichkeit, die dem heute lebenden Geschlecht zur Pflicht geworden ist. Ein Projekt für tausend Jahre. Der letzte Satz stammt von Wilhelm Michel, einem Architekturkritiker, 1934 geschrieben. Bus

bis zum 25.10.