Sparstrumpf-Ratlosigkeit auf der Bühne

■ Die Situation der Theater wird weiterhin von Orientierungslosigkeit und Sparzwang bestimmt/ Seit dem Mauerfall ist der Kultursenator Herr über 21 Problemfälle

Wer hätte 1962 ernsthaft gedacht, daß die Schaubühne – einst gegründet von einer Gruppe enthusiastischer Theaterstudenten – dreißig Jahre später Berlins renommiertestes Privattheater sein werde? Nun feiert der Theatertempel, inzwischen seit zehn Jahren am Lehniner Platz ansässig, seinen dreißigsten Geburtstag, kassiert 21 Millionen Mark Kultursubventionen und klagt trotzdem wie alle anderen Berliner Bühnen über akute Geldnot. Denn das Feilschen um Senatsmillionen ist über die ehemals im Abseits blühende hiesige Theaterlandschaft hereingebrochen wie der Mauerfall über die Inselstadt.

Als im Herbst 1989 der antifaschistische Schutzwall um Berlin fiel, gab es in der Doppelhauptstadt plötzlich alles zweimal: hier die Schaubühne, dort das Deutsche Theater, hier das Theater des Westens, dort das Metropol-Theater. Der Kultursenator war nun nicht mehr nur Verwalter von neun eingeführten Westbühnen, sondern Herr über einundzwanzig Problemfälle. Denn die Besucherzahlen gingen in diesen Umbruchtagen hüben wie drüben unaufhörlich zurück. Die ehemals staatlicherseits hofierten Ostbühnen verloren nicht nur ihre besten Mitarbeiter an den üppiger entlohnenden Westen, sondern mit der Vereinigung auch ihre subversive Funktion in der Nischengesellschaft DDR. Das elitäre Theaterschaffen im Westen machte zur gleichen Zeit mit nicht viel mehr auf sich aufmerksam, als damit, daß die Steins und Zadeks zu der sich verändernden deutschen Gesellschaft nicht viel zu sagen haben. Zur strukturellen und inhaltlichen Orientierungslosigkeit gesellte sich bald die schiere Geldnot: Außer einem 240 Millionen Mark großen Etatloch hatte der neue Kultursenator Roloff-Momin bald nicht mehr viel zu verwalten.

Die Parole „Kein Theater darf geschlossen werden, in einigen Jahren werden wir sie alle brauchen“ hatte sich schon bald überlebt. Das erste Opfer neuer Sparpolitik ist erstaunlicherweise ein Westtheater: die Freie Volksbühne an der Schaperstraße wurde dichtgemacht, das Haus wird künftig von dem Musical-König Friedrich Kurz bespielt werden – eine zukunftweisende Entwicklung für die Theaterstadt Berlin.

Denn was sich die Stadt nicht mehr leisten kann, muß notwendigerweise privaten Geldgebern und -machern überlassen werden. Um den Friedrichstadtpalast, bislang beliebter Ort für Ostkurzweil, bemüht sich der Kurz-Konkurrent Rolf Deyhle aufs heftigste, und auch er hat gute Aussichten, das frisch renovierte Haus in Bälde betreiben zu können. Denn selbst wenn der Kultursenator bis vor kurzem gerne betonte, seine Spielstätten gerade nicht an diese inhaltsarmen Park-and-Ride-Kulturanbieter verschenken zu wollen, sind ihm die Hände doch vom Haushaltsplan gebunden. Er kann sich weder die Sanierung des Metropol-Theaters leisten noch die Eskapaden an den Staatsbühnen Schiller Theater und Schloßpark- Theater.

Sicher, der immer schon zweifelhafte Versuch einer Gruppenleitung für die Staatlichen Bühnen war konzeptionell bereits gescheitert, als Roloff-Momin ihn für beendet erklärte. Trotzdem verschlechterte der harsche Rausschmiß von Vera Sturm, Alfred Kirchner und Alexander Lang die Stimmung unter den Theaterschaffenden immer weiter. Wurde nicht zur gleichen Zeit am Berliner Ensemble fünf alten Herren, die sich bisher auch nicht sonderlich gut kannten, viel Geld in Aussicht gestellt für ein waghalsiges Intendanten-Rotationsmodell, dessen Funktionsfähigkeit bis heute noch nicht abzusehen ist?

Wenige Theater haben die vergangenen hektischen zwei Jahre unbeschadet überstanden. Das Maxim Gorki Theater gehörte bis vor kurzem dazu. Nun hat auch diese Bühne ihren Skandal. Innensenator Heckelmann mischt sich neuerdings auch noch in das Wirrwar Berliner Theaterpolitik ein: er will den Vertrag des Gorki-Intendanten nicht verlängern, weil Albert Hetterle zu DDR-Zeiten aktives SED-Parteimitglied war.

Nicht nur das Ensemble seines Hauses, auch die Berliner Theaterprominenz stellte sich vor den nun doch recht verspätet in Verruf geratenen Hetterle. Die von Heckelmann erhobenen Stasi-Vorwürfe lassen sich bislang noch nicht einmal beweisen, trotzdem will die Senatsverwaltung diesmal Härte zeigen. Man möchte ein Exempel statuieren, der Gorki-Intendant soll einem anderen, unbescholtenen Theaterleiter weichen. Aber geeignete Personen für die bisher solide geführte Bühne sind nicht einmal in Sicht. Alle möglichen Kandidaten sitzten bereits an anderen Theatern auf ihren Amtssesseln. So zum Beispiel auch der alte Junge Frank Castorf, der am Rosa- Luxemburg-Platz frischen Wind in die „Volksbühne“ bringen will und der zur Zeit mit gewohnt provokanten Inszenierungen und publikumsfreundlichen Studententarifen (für 5 DM ins Theater) auf sich aufmerksam macht. Ob ausgerechnet diese Strategie das Theater aus der Krise retten wird, muß sich in der Zukunft erweisen.

Sicher ist allerdings schon jetzt, daß vor allem die kleinen, alternativen Privatbühnen unter dem rigorosen Sparzwang der Kulturverwaltung spürbar zu leiden haben. Selbst nach der großen Vergabe- Reform tröpfelt es aus dem Topf der „Freien Gruppen“ immer noch viel zu spärlich; viele interessante Theaterprojekte und unkonventionelle Ideen bleiben so auf der Strecke. Man muß sich fragen, ob die Schaubühne, würde sie sich heute gründen, jemals Aussicht auf ihre ruhmreiche Geschichte hätte. Klaudia Brunst