Teilen ja, aber...-betr.: "Gucken, was das Volk bewegt", Interview mit Björn Engholm, taz vom 23.9.92

betr.: „Gucken, was das Volk bewegt“, Interview mit Björn Engholm taz vom 23.9.92

Ein artiges Interview, Engholm wurde nicht gefordert: So muß die geplagte Leserin die Arbeit der Zuspitzung selbst leisten.

Nach den Petersberger Beschlüssen sagte Engholm, mit Moral ließe sich keine Politik machen. Ich würde sagen, das kommt auf die Moral an und auf die Politik, die mensch betreibt. Im taz-Interview meint er: „Die Bergpredigt ist wunderbar, aber sie ist kein politisches Handlungsprogramm.“ Mal davon abgesehen, daß in der Bergpredigt auch allerhand Quatsch steht, beinhaltet sie auch eine Reihe von konkreten Handlungsanweisungen, die „aber“ nicht im Gegensatz zu den gleichzeitig vertretenen moralischen Postulaten stehen.

Von der SPD behauptet Herr Engholm: „Sie ist immer auf der Seite von Ausländern gewesen.“ Wenn überhaupt, dann trifft dies nur für Sonntagsreden und irgendwelche für den Papierkorb gedachten Parteitagsbeschlüsse zu. Erinnern wir uns an Altbundeskanzlerin H.Schmidt, der schon vor 20 Jahren sagte, daß es zu viele Ausländer in Deutschland gäbe, oder an die von der SPD mitgetragenen Beschlüsse zur Begrenzung des Nachzugs von Kindern von Gastarbeitern, Benachteiligung von Ausländern bei der Arbeitsvermittlung (Deutsche zuerst), der Einführung des Arbeitsverbots für Asylbewerber usw. Von Gleichberechtigung keine Spur!

Als die SPD noch die Bundeskanzlerin stellte, hätte sie genügend Möglichkeiten gehabt, der sozialen Wirklichkeit u.a. durch das Angebot zur leichten Einbürgerung besser gerecht zu werden. Mensch sehe nur den Kontrast zur (auch kritikwürdigen) Politik der schwedischen Sozialdemokraten an. Mit der Einbürgerung würde übrigens der Anteil der Deutschen an der Wohnbevölkerung schlagartig von 90 auf 99 Prozent steigen und das sogenannte Ausländerproblem gelöst. Nach Herrn Engholm leben Deutsche „doch schon über Jahre hinweg mit Anstand und hoher Friedfertigkeit mit einer ganz hohen Zahl von Fremden.“ Das mit der Friedfertigkeit stimmte bisher, das mit der Anständigkeit stimmte noch nie, hält mensch sich die staatliche Ungleichberechtigungspolitik der letzten Jahrzehnte oder beispielsweise die tagtäglichen abwertenden Bemerkungen durch deutsche „Kollegeninnen“ am Arbeitsplatz vor Augen. Wen zählt Herr Engholm eigentlich zu den Fremden? Die staatenlosen Kinder von Displaced Persons oder die bayerischen Dialekt sprechenden Jugendlichen der zweiten oder dritten Gastarbeitergeneration? Warum spricht Herr Engholm von einer „ganz hohen Zahl von Fremden“? Meint er „ganz hoch“ im Vergleich zu einem ausländerfreien Deutschland, zu den über 70 Millionen deutschen Deutschen oder zu einer dem deutschen Weltmarktanteil entsprechenden Bevölkerungszahl? Was die Zuwanderung angeht, so führt Herr Engholm unter anderem folgendes aus: „Viele sagen, daß wir die Pflicht haben, alle aufzunehmen. Das ist nicht realisierbar. Es gibt Aufnahmegrenzen in einer Gesellschaft.“ „Wer sagt... laßt möglichst viele von denen, die in großer Not in der Welt leben, zu uns kommen — ohne die materiellen Ressourcen aufzuzeigen — ist eigentlich nicht glaubwürdig.“ Da ist etwas dran, wenn Herr Engholm meint, daß die Aufnahme aller (fünf Milliarden) armer Menschen in Deutschland nicht realisierbar sei, Radio Eriwan läßt grüßen. Eine solche Rhetorik erinnert an die Bild-Zeitung, die u.a. von 120 Millionen GUS-Bürgern, die nur darauf warten würden, nach Deutschland zu „fluten“, sprach. Wie u.a. das Beispiel Polen zeigt, haben solche Aussagen nichts mit der Realität zu tun und eignen sich nur als Bestandteil einer Horrorkampagne gegen die tatsächlich ankommenden Flüchtlinge. Die Anzahl der Asylbewerberinnen liegt bei unter einer Million pro Jahr — 1992 voraussichtlich bei etwa 500.000 — ist also im Vergleich zu den internationalen Flüchtlingsströmen und zur potenten deutschen Wirtschaftskraft vernachlässigbar klein. Es ist außerdem falsch, Einwanderinnen nur als Last anzusehen. Wer etwas ökonomischen Sachverstand zusammenkratzt, muß sehen, daß Einwanderinnen zwar zu Beginn das soziale Netz auf denkbar niedrigem Niveau beanspruchen,sich aber später tendentiell entsprechend der einheimischen Bevölkerung in Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, beschäftigte Arbeitnehmerinnen und arbeitslose Arbeitnehmerinnen, Sozialhilfeempfängerinnen und Steuerzahlerinnen usw. aufspalten. Herr Engholm meint weiter: „Wir haben unser Sozialsystem insbesondere für die Einheimischen geschaffen... Wenn dieses Netz von weit mehr als 500.000 Menschen pro Jahr zusätzlich in Anspruch genommen wird, bricht es ihnen weg. Es sei denn, sie statten es neu aus. Und diese Neuausstattung haben wir uns untersagt, indem wir dem Aufbau im Osten Deutschlands den Vorrang gegeben haben.“ „Ich muß in diesem Jahr die Aufnahmekapazität einer Kleinstadt in der Größe von Bad Schwartau schaffen. Das kann ich nicht. Im November werden wir anfangen, in einzelnen Ländern Zwangseinweisungen vorzunehmen, in Gemeinderäume, in Wohnräume, die der Sozialhilfe sonst für Einheimische offenstehen. Dann fürchte ich, ist der Frieden in dieser Frage endgültig dahin.“

Herr Engholm sagt mit diesen deutlichen Sätzen kurz gefaßt folgendes aus: Teilen ja, aber nur mit Deutschen. Das soziale Netz wird nicht entsprechend den Anforderungen ausgestattet. Wir wollen 20.000 Menschen in Schleswig- Holstein nicht unterbringen können. Die Sozialdezernentinnen und Oberbürgermeisterinnen lassen wir weiter zappeln. Im November wird es eine zusätzliche Welle von Mord und Totschlag geben. Wie heißt es doch so schön in der Bergpredigt: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie harmlose Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“

Auch die SPD-Wende in einem Grundrecht scheint Herr Jesus schon einschließlich der politischen Folgen vorausgeahnt zu haben: „Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen.“ Amelie Müller, Bielefeld