Bremer Ampel mit Entzugserscheinungen

Nach dem Senatsbeschluß, einen Drogenstrich mit Polizeigewalt aufzulösen, ist die Drei-Parteien-Regierung in ihrer bislang größten Krise  ■ Aus Bremen Holger Bruns-Köster und Markus Daschner

Es knirscht, antwortete am Donnerstag Bremens grüner Umweltsenator Ralf Fücks auf die Frage nach dem Zustand der Ampelkoalition im kleinsten Bundesland. Seit letzten Dienstag frißt der Wurm im schönen Bremer Rathaus, nicht an der Fassade, sondern im politischen Gebälk. Nach der knappen 5:3-Entscheidung des Bremer Senats, einen stadtbekannten Drogenstrich mit Polizeigewalt aufzulösen, droht akute Einsturzgefahr im Bremer Regierungsgebäude.

Die Risse laufen quer durch SPD, FDP und Grünen. Der liberale Innensenator Friedrich van Nispen, der sich für eine Verlegung des Striches stark gemacht hatte und jetzt für die Durchführung der Sozialpolitik mit anderen Mitteln zuständig ist, erklärte nach der Entscheidung: „Mit der Polizei ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen.“ Weite Teile der SPD zeigten über die Entscheidung Bestürzung. Auf einer Versammlung des größten Bremer Unterbezirks, in dessen Gebiet der Strich liegt, rüffelten die GenossInnen einen Tag nach der Entscheidung das Abstimmungsverhalten ihrer eigenen SenatorInnen. Die für Sozialpolitik zuständige Fraktionssprecherin Elke Steinhöfel packte „nacktes Entsetzen“, die grüne Fraktionssprecherin Karoline Linnert befand knapp: „Ich habe mittelschweren Brechdurchfall.“

Die Grünen waren es dann auch, die für morgen eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses beantragt haben, Bremens „kleine Regierung“, die bei kniffeligen Regierungsfragen zusammentritt, soll die Entscheidung nach Ansicht der Grünen noch einmal auf die Tagesordnung des Senates hieven. Ihr innenpolitischee Sprecher Martin Thomas fühlt sich „vom Bürgermeister geleimt“. Wirtschaftssenator Jäger (FDP) ist strikt gegen eine zweite Abstimmung. „Es gibt keine Veranlassung, wie Hühner ohne Kopf herumzulaufen“, kommentierte er. Sozialsenatorin Irmgard Gaertner, wegen einer Auslandsreise bei der Abstimmung nicht dabei, forderte dagegen: „Wir brauchen einen neuen Beschluß.“

Die Drogenkrise der Bremer Ampel ist das dritte Beben, das die Regierung innerhalb kürzester Zeit ereilt. Im August demontierten Bremer Genossen über die Asyldebatte ihren Bürgermeister, der einsam und alleine gegen den Beschluß des Landesparteitages angetreten war, um den Asyl-Artikel 16 zu ändern. Eine weitere Belastungsprobe kommt in der nächsten Woche auf die Koalition zu. Dann wird in der Bremer Bürgerschaft über einen Mißtrauensantrag der CDU gegen die Arbeitssenatorin Sabine Uhl abgestimmt. Die Senatorin hatte über Monate mit völlig unrealistischen ABM- Zahlen garbeitet. Das hat dazu geführt, daß schon Wochen nachdem der Bremer Landeshaushalt verabschiedet worden war, eine zweistellige Millionensumme nachbewilligt werden mußte. Ob alle Abgeordneten Uhl stützen werden, hängt von der Sitzung des Koalitionsausschusses ab.

Ins Wanken gekommen ist die Ampel auch, weil sich die SPD in einem desolaten Zustand befindet. Gedacht war das Bündnis von ihrem Architekten Klaus Wedemeier als „Bündelung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Kräfte“. Herausgekommen ist ein Hauen und Stechen, das sich vor allem zwischen dem FDP- Wirtschaftssenator Claus Jäger und dem Grünen Umweltsenator Ralf Fücks abspielt und dem die SPD ohne deutlich erkennbare Position zusieht. Die Folge: Während sich die streitenden Parteien mit ihren Positionen wenigstens öffentlich profilieren, fallen die Sozialdemokraten ins Bodenlose.

Bei den Bürgerschaftswahlen im letzten Herbst von über 50 auf 38 Prozent gefallen, geht der freie Fall auch mit der Ampel munter weiter. Im September sahen Meinungsumfragen die SPD im Land Bremen nur noch bei 32 Prozent. Für Bremen-Stadt lag zum ersten Mal in der Geschichte die CDU vor den Sozialdemokraten. Und auch das Ansehen des Bürgermeisters, der mit dem Bezug von Billigstrom durch die Bremer Stadtwerke zusätzlich ins öffentliche Gerede gekommen war, geht nach den Umfragen gegen Null.

Was Wunder, daß in immer kürzer werdenden Abständen Personaldebatten lanciert werden. Zwar traut sich niemand, öffentlich den Rücktritt Wedemeiers zu fordern, doch im Parteivorstand wurde bereits darüber beraten, ob Wedemeier nicht dem Parteitag die Vertrauenfrage stellen müsse. Angesichts des unsicheren Ausgangs nahm das Gremium vorsichtshalber Abstand von dieser Idee.

Noch andere Spekulationen machen derweil die Runde: Wedemeier habe den Beschluß zum Drogenstrich deshalb durchgesetzt, weil er selbst keine Chance mehr sieht, seine Partei in der Ampel zu profilieren und nun auch auf eine große Koalition setzt. Umweltsenator Ralf Fücks: „Wenn die SPD aus lauter Panik wegen der 32 Prozent aus der letzten Umfrage alles in Richtung große Koalition schleifen läßt, dann kann man ihr nur guten Rutsch wünschen.“