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SanssouciNachschlag

■ Ortrud Beginnen in der Schiller-Theater-Werkstatt:

„Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne. Der eine ging zur See, der andere zum Schiller-Theater. Von beiden hat man nie wieder etwas gehört.“ Von abgewrackten Theatern weiß die „Duse vom Ludwigkirchplatz“ einiges zu berichten, denn sie, die heute nur noch im Ruhm vergangener Zeiten schwelgt, als das Publikum ihr zu Füßen lag, ist jetzt selbst auf diese Bühnen angewiesen. In grandioser Selbsttäuschung glaubt sie jedoch, engagiert worden zu sein, um den Karren noch einmal aus dem Dreck zu ziehen.

Ganz so, wie sich Ortrud Beginnen alias die „Duse“ ihren Auftrittsort zurechtgebastelt hat, ist es um das Schiller-Theater allerdings noch nicht bestellt: Zerschlissene, verschmutzte Vorhänge trennen die Bühne von der Garderobe, ein pummeliges Plastikengelchen mit blutigem Beinstumpf baumelt verloren von der Decke, vernagelte Türen und schiefe Balken versperren den üblichen Auftrittsweg. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, und hemmungslos nutzt Ortrud Beginnen die marode Situation des Spielortes für augenzwinkernd nestbeschmutzende Sprüche der Duse. Diese plappert und plaudert aus dem Nähkästchen verstaubter Theateranekdoten, erzählt von dem Garderobier, der aus lauter Verzweiflung zu den Anthroposophen übergewechselt ist und jetzt kleine Männchen häkelt, erinnert sich an den harschen Regisseur, dem sie einst ein Buch schenkte („Der deutsche Schäferhund und seine Dressur“) und der die Anspielung nicht verstehen wollte. Mit der den zwanziger und dreißiger Jahren eigenen Piepsstimme singt sie Lieder aus jener Zeit, und hier und dort schleicht sich der alternden Diva dabei ein falscher Ton ein.

Doch nie gerät die persiflierende Komik der Beginnen zum Klamauk. Solange die Duse erzählt, so eitel und zerbrechlich, bleibt der Abend voll hintergründiger Poesie und Melancholie. Und beißen kann die Duse auch: Wenn sie die verkrüppelte Handhaltung von Wilhelm dem Zweiten analysiert oder aus ihrer Zeit im „Reichskabarett“ reportiert, zum Beispiel. Ortrud Beginnen beweist, wie schon in ihrem letzten Programm „Tausend Jahre deutscher Humor“, ihr meisterhaftes Talent, den nonchalanten Erzählungen bitterböse Spitzen zu verpassen, die erst im Nachhall ihre Wirkung finden.

Nur im zweiten Teil des Abends ging der Duse wohl der Stoff aus. Ihr zur Seite steht jetzt – „das Schiller-Theater hatte nichts Frischeres zu bieten“ – der stoffelige, unbewegliche Schauspieler Holzapfel (Walter Pfeil). Gemeinsam chargiert man sich durch die großen Todesszenen der Klassiker. Die erzählte Geschichte dieses Abends macht dem platten Plagiat Platz, einem Nummernprogramm ohne roten Faden, das angestrengt komisch ist und bald langweilt. Schade: zu viel Duse und zu wenig Beginnen am Ende. Anja Poschen

Weitere Vorstellungen: Bitte telefonisch beim Schiller-Theater erfragen

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