Kollwitzstraße 89 erneut besetzt

■ Senat beseitigte Wiedervermietungsgebot und legitimierte Leerstand/ Beschlagnahme durch das Bezirksamt gefordert

Prenzlauer Berg. Wenn einem mitten im Oktober Bratwurstduft in die Nase steigt und laute Musik durch die Straßen dröhnt, kann es sich nur um eine Hausbesetzung handeln. Gestern mittag war es wieder soweit. Die Kollwitzstraße 89, von den Privatbesitzern Wibbeke und Wieczorek zur Hotelnutzung vorgesehen, wurde vom Aktionsbündnis „Wir bleiben alle“ besetzt. „Für Spekulanten und den Senat ist dieses Haus eine Art Testballon“, heißt es in einer Erklärung der BesetzerInnen. Das Gerangel zwischen Bezirk, Eigentümern und der Senatsbauverwaltung spricht in der Tat für sich: Nachdem das Bezirksamt Prenzlauer Berg den Antrag der Eigentümer auf Zweckentfremdung abgelehnt hatte, trat im Juli 1991 der Senat als Widerspruchsinstanz auf den Plan. Der öffnete den Eigentümern auch prompt eine Hintertür: Die Zweckentfremdung könne dann genehmigt werden, hieß es damals, „wenn der Antragsteller auf einen Zustand festgelegt wird, bei dem er über einen Zeitraum von 10 Jahren nicht mehr mit einer Rendite aus dem Grundstück rechnen kann“. Diese „Wirtschaftlichkeitsberechnung“ wurde in Folge heftig kritisiert. „Wenn dieses Beispiel Schule macht“, so Mathias Fraaß von der Kiezzeitung prenzlig, „könnte der ganze Prenzlauer Berg zum Hotel gemacht werden.“ Offenbar beruft sich der Senat mit der „Wirtschaftlichkeitsberechnung“ auf ein Oberverwaltungsgerichtsurteil vom Februar 1989, in dem im Falle der Reichenberger Straße 63a ein Abriß aus „wirtschaftlichen Gründen“ für rechtens erklärt wurde. Drei Besetzungen hatten damals in letzter Minute eine politische Lösung bewirkt.

Zwei Besetzungen waren es auch in der Kollwitzstraße, die den Senat unter Handlungsdruck setzten. Bausenator Nagel wies im Juli dieses Jahres zwar den Antrag auf Zweckentfremdung zurück, begründete seine Ablehnung aber nicht mit dem Hinweis auf die Zweckentfremdungsverbotsverordnung, sondern damit, daß auch mit einer Wohnnutzung Rendite erzielt werden könne. Seither liegt der Vorgang beim Verwaltungsgericht Berlin. Die unter Androhung von Zwangsgeld vom Bezirksamt geforderte Wiedervermietung wurde im übrigen hinfällig, weil der Senat seinen Ablehnungsbescheid bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgesetzt hatte.

Das jedoch kann dauern. „Wir müssen auf jeden Fall verhindern, daß das Haus einen weiteren Winter leersteht“, meint Bernd Holtfreter von „Wir bleiben alle“. Der Sprecher der BVV-Fraktion Bündnis Prenzlauer Berg, Andreas Otto, forderte das Bezirksamt auf, die leerstehenden Wohnungen zu beschlagnahmen. Der zuständige Sozialstadtrat Reinhard Kraetzer (SPD) erklärte gestern gegenüber der taz, daß das Bezirksamt nicht untätig bleibe: „Der Sozialstadtrat ist der Meinung, daß diese Wohnungen nicht zwei Jahre leerstehen können.“

Für heute, 13 Uhr, wurde indes der „Runde Tisch Hausbesetzungen“ einberufen. Die Polizei hatte am Abend die Einhaltung der „Prenzelberger Linie“ zugesichert. Demnach darf erst geräumt werden, wenn am „Runden Tisch“ keine politische Lösung gefunden wird. Die BesetzerInnen kündigten für den Abend ein kulturelles Programm, unter anderem mit „Zwei Drittel“ und „Dr. Seltsam's Frühschoppen“, an. Uwe Rada