Umwelt-Controlling als Masche

Ein umweltbezogenes Informationssystem hat einiges bewegt: Der Strumpf- Hersteller Kunert gilt über die Branche hinaus als Öko-Pionier  ■ Von Thomas Worm

„Blickdicht“, aus welchen Gründen auch immer, ist bei bestrumpften Frauenbeinen en vogue. Europas führender Strümpfe-Hersteller, die Kunert AG im oberbayerischen Immenstadt, weiß das natürlich und hat ihr Sortiment entsprechend ausgerichtet. Ganz und gar nicht blickdicht, und trotzdem im Trend, ist das ökologische Management der Firma.

Unter dem jovialen Titel „Öko- TÜV“ sammelt das Unternehmen nun bereits im dritten Jahr Zehntausende von betriebsrelevanten Umweltdaten. Seit 1991 veröffentlicht die Kunert AG, zu der mit über 6.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 680 Millionen Mark auch die Beinausstatter Hudson und Arlington gehören, zusätzlich zum Geschäftsbericht eine Öko-Bilanz. Auf Recyclingpapier, versteht sich. Kunert gilt hierzulande als einer der Pioniere auf dem Feld des sogenannten Umwelt-Controllings; der deutschen Industrie war das sogar einen Umweltpreis wert.

Was ist das, dieses Umwelt- Controlling? Es handelt sich dabei um ein umweltbezogenes Informationssystem, das die vom Unternehmen ausgehenden Umweltwirkungen systematisch erfaßt, darstellt und bewertet. Um allein die 80.000 Einzelvarianten im Einkauf nahtlos zu erfassen, setzen die Allgäuer hierfür eine eigens entwickelte Software ein, das Computer Aided Environmental Controlling.

Bei Kunert hat das Umwelt- Controlling bereits einiges bewegt. Chrom, jene Zutat, die für den schwarz schimmernden Blickfang auf Damenschenkeln sorgt, konnte um 90 Prozent reduziert werden. Nur die Mikrofaser-Strumpfhose bleibt weiterhin chromabhängig, da bei ihr ein farbechtes Schwarz ohne das Schwermetall (noch) nicht hinzukriegen ist. Die Lieferanten von chromhaltigen Färbemitteln mußten sich auf Druck des Marktführers nach Substitutionsstoffen umsehen. Mit Erfolg, wie sich zeigte.

Die Suche nach natürlichen Alternativen gestaltet sich nicht immer einfach. Oft wird der Seidenschein aus Plaste zu Unrecht gescholten, betonen die Kunert- Leute. „Jedenfalls ist es Unsinn, 100prozentige Baumwolle mit 100prozentiger Natur gleichzusetzen“, referiert Vorstandsvorsitzender Rainer Michel, „ein Fünftel der weltweit versprühten Pestizide landet auf der Baumwolle.“ Naturstoffe sind demnach keineswegs immer die gesündesten Alternativen. Die Farbe Rot, gewonnen aus Cochenille-Schildläusen, enthält schwermetallhaltige Allergene und wird darum nicht eingesetzt.

Obwohl Kunerts Gesamtproduktion 1991 anstieg und das Umsatzplus 20 Prozent betrug, blieb die eingesetzte Energiemenge gleich, die Abfallmenge konnte sogar um 10 Prozent gedrückt werden. Die Deckblätter der Strumpfpackungen, vom Umwelt-Controlling als Schwachstelle erkannt, wurden dünner gemacht, 166.000 Kilogramm weniger Papier brachten 400.000 Mark ein; weitere 500.000 Mark konnten durch feinere Verpackungsfolien, nur noch ein Hauch, eingespart werden.

„Aber nicht alle Effekte des Umwelt-Controlling sind monetär quantifizierbar“, sagt Rainer Michel. Für wesentlich hält er die Risiko-Minimierung bei Umweltunfällen, die den eigenen Namen auf immer ruinieren könnten. In einer Zeit, wo die Kreditwürdigkeit von Firmen bereits mit ökologischen Standards abgeprüft wird, beim sogenannten Öko-Rating, hat das Umwelt-Controlling präventiven Charakter. Explosionsartig steigende Abfallkosten, rigidere Emissionsauflagen, womöglich gesetzliche Öko-Bilanzen auf Bundesebene — das Kunert-Management hat seine Schlüsse gezogen: „Wir sind überzeugt, daß die Unternehmensführung der Zukunft ohne das Instrument des Öko- Controlling nicht mehr denkbar sein wird.“ Dabei ist der bayerische Textilhersteller weiter gegangen als bislang die Großchemie, die zwar, wie BASF oder Henkel, gelegentlich Öko-Checks durchführt, aber deren Ergebnisse — blickdicht — unter Verschluß hält.

Gegenüber den eigenen Mitarbeitern versucht Firmenchef Michel, ein kerniger und gewitzter Selfmademan, der es vom Akkordarbeiter bei Kunert zum Vorstandsvorsitzenden brachte, die Reize des Umweltgedankens auszuspielen: Leere Batterien und Altöl können auf dem Betriebsgelände zur Wiederverwertung kostenlos entsorgt werden. Denn nur eine motivierte Belegschaft garantiert den Erfolg des Controlling, das weitgehend auf freiwilliger Mitarbeit beruht. In den Zweigwerken sind 16 Angestellte mit der Koordination betraut, davon drei hauptamtlich. Mittlerweile ist Kunert zur Informationsbörse in Sachen Umwelt-Controlling geworden: Hunderte von Unternehmen starten Anfragen, weil es bundesweit an qualifizierter Beratung fehlt.

Künftig will das Management sein Umwelt-Controlling auch als Zugpferd in der Werbung einsetzen. Es ist nicht ganz einfach, mit grünen (Plus)Punkten für schwarze Leggings zu werben – aber es könnte sich lohnen. Denn Kunert weiß, was Frauen wünschen. Einer Umfrage zufolge entscheiden Kundinnen in erster Linie nach Paßform und Haltbarkeit, 52 Prozent danach, ob sie umweltfreundlich produziert und recycelt werden kann. Die Verbraucherinnen werden „redliche ökologische Anstrengungen zunehmend honorieren“, sagt man in der Immendorfer Zentrale.

Ob Umwelt-Controlling dabei mehr als nur eine Masche ist, muß sich noch erweisen: Strümpfe sind ja höchst ansehnlich, aber sie gehen zu schnell kaputt. Ein Sieg der Kunert AG über die Laufmasche könnte — kleine Ursachen, große Wirkungen — vielleicht den Lauf der Dinge ändern.