„Und dann am Abend töteten sie uns“

■ Der 14jährige Ziad, einziger Überlebender eines Massakers, das serbische Soldaten im westbosnischen Dorf Zecovi an moslemischen Frauen und Kindern verübten, erzählt, wie er der „Säuberung“ entkam

Sollte es jemals zu Prozessen gegen bosnische Kriegsverbrecher kommen, dann wird die Anklage in vielen Fällen auf Zeugen wie den 14jährigen Ziad angewiesen sein. Dann wird Ziad, ein bosnischer Moslem, nicht mehr allein den Journalisten, sondern einem internationalen Gerichtshof berichten können, daß er der einzige Überlebende eines Massakers ist, das serbische Soldaten am 25. Juli an 31 moslemischen Frauen und Kindern in dem westbosnischen Dorf Zecovi, kurz nach Einbruch der Dämmerung, verübten.

Ziad erzählt: „Die vier Soldaten bewachten uns in einem Keller, wir kannten sie, sie stammten aus dem Nachbardorf. Vor dem Krieg gingen sie in der Nähe unseres Hauses auf die Jagd, auf unserem Hof haben sie Brandy getrunken. In dem Keller mußten wir zwei Nächte bleiben. Am dritten Tag holten sie uns heraus und befahlen uns, uns in einer Reihe aufzustellen. Da habe ich gewußt, was sie vorhatten. Ich stand hinter meiner Mutter, und in diesem Moment entschloß ich mich, mich zu verstecken. Ich verschwand hinter einer Schubkarre, die an die Hauswand gelehnt war. Sie konnten mich nicht sehen, dafür sah ich sie um so besser.

Ich war ungefähr zwei Meter von meiner Familie entfernt, als die Soldaten zu schießen begannen. Ich sah meine Familie, ich sah, wie sie getroffen zu Boden stürzten. Wenn die Serben feststellten, daß eine Frau die erste Schußsalve überlebt hatte, gingen sie zu ihr und töteten sie durch einen Kopfschuß. Ich wartete, bis es dunkel war, dann rief ich die Namen meiner Familienangehörigen, aber niemand antwortete. Ich verstehe nicht, warum sich außer mir keiner versteckt hat. Jeden Abend, wenn ich schlafen gehe, muß ich darüber nachdenken.“

„Als nicht mehr geschossen wurde“, so erzählt Ziad weiter, „blieb ich noch einige Tage in dem zerstörten Dorf. Ein serbischer Nachbar und sein Sohn, ein Schulfreund, versteckten mich. Ein Pferdewagen nahm mich schließlich bis zum Gefangenenlager Trnopolje bei Prijedor mit. Ich wußte, daß dort auch mein Vater und andere Männer aus unserem Dorf festgehalten wurden.“

Tatsächlich haben neben Ziad auch andere Moslems das Massaker in Zecovi überlebt. Als in der letzten Woche eine Kommission des UNO-Sicherheitsrates hunderte von bosnischen Moslems, die erst vor kurzem aus serbischen Internierungslagern entlassen worden waren, befragte, waren unter ihnen vier Männer, die dort ihre ganze Familie verloren hatten. Unter ihnen befand sich auch Ziads Vater, der aus Furcht vor Repressionen ebenso wie Ziad darum bat, nicht seinen vollen Namen nennen zu müssen. Er berichtet, daß 25 bis 30 Männer vor dem Abtransport in die Gefangenenlager erschossen wurden. Und er ergänzt die Geschichte seines Sohnes:

„Ohne große Probleme konnten wir Ziad in das Lager schmuggeln, die Serben registrieren Kinder nicht namentlich. Doch unser Wiedersehen war traurig. Mein Sohn brachte mir die Nachricht, daß unsere gesamte Familie erschossen worden war. Als Ziad mich sah, begann er zu weinen. Berichten konnte er nur stockend...“

Ziad: „Unsere Mütter weinten, und wir riefen nach unseren Vätern. Doch die Soldaten sagten: ,Beruhigt Euch, Eure Männer leben.‘ Wir rechneten nicht damit, daß sie uns töten würden. Aber dann verließ eine alte Frau ohne Erlaubnis den Keller, sie wollte ihren Kühen Futter geben. Sie wurde erschossen. Am dritten Morgen zogen die Soldaten los, um eine andere Straße zu ,säubern‘. Den ganzen Tag hörten wir Explosionen. Und dann am Abend töteten sie uns.“ Mary Battiata (wps)