Folterungen, Vergewaltigungen und Massenmord: Die Greuel im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas sind trotz der Presseberichte über Gefangenenlager keineswegs vorbei — die Geschundenen verdienen mehr als nur unsere Aufmerksamkeit

Terror und Vernichtung mit System

Das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges wird tagtäglich fortgesetzt: Vertreibungen, Morde, Vergewaltigungen, andere Folterungen, standrechtiche Erschießungen sind im serbischen Teil Bosnien- Herzegowinas keineswegs beendet. Während wir diese Zeitung aufschlagen, sterben in jenem Inferno Menschen: in irgendeinem Konzentrationslager – denn manche Lager sind Konzentrations-, keine Gefangenenlager –, auf irgendeinem Transport, in irgendeinem abgelegenen Dorf. Und dort, wo die Toten in Massengräber verscharrt werden, ist nicht einmal Krieg, die muslimanische und kroatische Bevölkerung dieser Gebiete kann sich nicht wehren. Eine wildgewordene Soldateska geht nach Aussagen von Flüchtlingen sogar dazu über, Serben, die ihren bedrängten Nachbarn zur Seite stehen wollen, zu bestrafen. Auch diese Menschen werden gefoltert und ermordet, erklärt Tilman Zülch, der Vorsitzende der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (siehe Interview unten). Der Terror sei systematisch geworden, wenngleich die Freischärlergruppen unkoordiniert vorgingen.

In anderen Teilen des geschundenen Landes wird weiter gekämpft. Die täglichen Fernsehbilder aus Sarajevo verstellen manchmal den Blick für das Ausmaß der Kämpfe. Wie in Sarajevo, so sind auch die Menschen in Bihac, in Tuzla, in der nordöstlichen Region um Brsko den Angriffen der jugo- serbischen Armee ausgesetzt. Die Unterstützung für die muslimanisch-bosnischen Truppen von kroatischer Seite aus ist gering, oftmals verwenden die Verteidiger Beutewaffen. Flüchtlinge versuchen, durch die Linien zu schlüpfen. Leider wird vielen Flüchtlingen der Eintritt nach Kroatien verwehrt. Oder sie werden von den bosnisch-serbischen Behörden an die „Gegenseite“, dorthin, wo die bosnische Regierung noch das Sagen hat, ausgeliefert. Auch darauf weist Tilman Zülch hin: Gerade auf diesen Transporten werden noch viele Menschen ermordet. Unbeschreiblich ist das Los von Frauen und Mädchen, die den Soldaten in die Hände gefallen sind.

Seit internationale Institutionen sich um Hilfe für die Gefangenen bemühen, sind in den großen Lagern (Omarska, Trnopolje u.a.) in der Tat Erleichterungen für die Gefangenen durchgesetzt worden. Nachdem aber die großen Lager durch die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz inspiziert wurden, sind viele Gefangene in kleinere Lager in abgelegeneren Gebieten verbracht worden.

Die politischen Konsequenzen aus dieser Situation zu ziehen, fällt gerade vielen aus dem links-grünen Spektrum hierzulande nicht leicht. Denn von der Forderung nach Frieden abzurücken und in Bosnien eine nachdrückliche, auch militärische, Intervention zu fordern, verlangt ein radikales Umdenken. Die Schweinereien der anderen Seite als Entschuldigung aufzuführen – im kroatischen Teil gibt es Kriegsgefangenenlager mit einigen hundert Gefangenen –, untätig zu bleiben, reicht nicht aus. Die geschundenen Menschen in Bosnien verdienen mehr als nur unsere Aufmerksamkeit. Erich Rathfelder