Wege aus dem Pflegenotstand

■ Pflegedienste kommen den Bedürfnissen kaum noch nach / Ambulante Pflege immer wichtiger

Die Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten wird vorraussichtlich demnächst durch das Pflegeversicherungsgesetz zumindest finanziell abgesichert sein. Aber wer wird die immer größer werdende Zahl pflegebedürftiger Menschen in Hamburg betreuen? Diese Frage beschäftigte gestern Vertreter von ambulanten Pflegediensten, Krankenkassen, Altenorganisationen, Gewerkschaft und Sozialbehörde am runden Tisch, zu dem der Bundestagsabgeordnete Freimut Duve (SPD) geladen hatte. Die Antworten stimmen eher pessimistisch, denn schon die aktuelle Situation in Hamburg ist für Pflegebedürftige bedenklich.

„Die Kapazität der privaten Pflegedienste ist schon jetzt total erschöpft“, sagte Hella Beckmann. Die Krankenschwester ist seit zehn Jahren in der ambulanten Pflege tätig, seit Mai in einem privaten Betrieb mit 25 Beschäftigten, der zur Zeit 65 Patienten betreut. Inzwischen sei der Pflegenotstand auch im ambulanten Bereich ausgebrochen, so Hella Beckmann, es sei heute fast unmöglich gutes und examiniertes Pflegepersonal zu bekommen: „Der Markt ist leer“. Und der Bedarf an ambulanter Pflege werde größer. „Hoffnungslos Überfordert sind häufig Verwandte und die Familie mit der Pflege ihrer schwerstkranken Angehörigen, denn sie sind oft selber hochbetagt“, erklärte die Pflegerin. Und die Pflegedienste müßten besonders jetzt im Herbst, wo viele Menschen krank werden, Pflegebedürftige abweisen.

Von traurigen Erfahrungen erzählte auch der Krankenpfleger Siegfried Schmidt, vom Hamburger Landesverband der Ambulanten Pflegedienste. „Selbst in Haushalten, wo Geld da ist, wird um jede Minute Pflege gefeilscht. Und auch Vermögende sagen, wenn Oma oder Opa da liegt, „das ist uns jetzt zu teuer“. Schmidt sprach sich deshalb für eine gesetzlich vorgeschriebene Pflegeversicherung für

1alle aus.

Die Gesundheits- und Sozialbehörde (BAGS) setzt auf Tagespflege. Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige fünf Tage die Woche von morgens bis abends betreut werden, sollen flächendeckend ausgebaut werden, erklärte der BAGS-Vertreter Peter Gitschmann gestern. Es gäbe bereits 95 Tagespflegeplätze, 53 weitere stünden unmittelbar vor der Eröff-

1nung. „Das ist noch lange nicht ausreichend“, kritisierte Hella Beckmann. So gäbe es für Patienten, die gerade frischoperiert aus dem Krankenhaus entlassen sind, und sich nicht allein versorgen können, kaum Pflegemöglichkeiten.

„Wir müssen im Alter nicht unbedingt alle hinfällig und pflegebedürftig werden“, wandt Günther Westphal von der Altenselbsthilfe „Graue Panther“ ein. In seiner

1Wohngemeinschaft in Bramfeld, wo Alt und Jung zusammenleben, gebe es bei den älteren BewohnerInnen zwar „Altersverschleiß“, aber sie seien deshalb nicht gleich pflegebedürftig. „Die alten Damen gehen zum Arzt, nach der Behandlung kommen sie nach Haus und nehmen wieder am alltäglichen Leben in der Großfamilie teil.“ Ein Leben, das offensichtlich lange munter und frisch erhält. Vera Stadie