■ Kommentar
: Staatliche Schikane

Seit Ende letzten Monats lagern Nacht für Nacht Hunderte von Flüchtlingen vor der Außenstelle der Ausländerbehörde am Waterloo-Ufer. Die Menschen sind vom Krieg gezeichnet und haben zumeist nicht mehr Habseligkeiten, als sie auf dem Leib tragen. In Berlin setzt sich jede Nacht auf dem zertretenen Rasen ihre lange Flucht fort, begleitet sie das erfahrene Leid durch die dunklen Stunden. Kleine Kinder sind dabei und alte Menschen. An dieser unglaublichen Situation hat sich seit Anfang Oktober nichts verbessert, nur verschlechtert. Die Flüchtlinge stehen statt um Mitternacht nun bereits um neun Uhr abends an, um am nächsten Morgen zu jenen Glücklichen zu gehören, die eingelassen werden in die Behördenstuben. Und die Nächte sind inzwischen unerträglich kalt geworden für ungeschützte Menschen. Zahlreiche Berichte über die Situation haben dem Senat allein beschwichtigende Worte abgenötigt, ihn aber nicht zum Handeln bewegt. Die willentliche und andauernde Untätigkeit macht aus einem offenkundigen Mißstand einen politischen Skandal.

Angebote, zu helfen, hat es einige gegeben. Und es ist Teil des Skandals, daß diese Hilfe von wohlmeinender Seite überhaupt nötig ist. Denn so begrüßenswert es ist, daß die Johanniter-Unfall-Hilfe die Menschen nun mit Tee und Suppe versorgt, so unzureichend muß diese Hilfe bleiben. Das Problem kann und wird damit nicht gelöst – das kann nur der Senat leisten. Schwer scheint dies nicht zu sein. Schließlich fiele selbst einem unbürokratischen Hirn einiges ein, das Los dieser Menschen zu erleichtern und ihnen ohne die nächtliche Tortur zu ihrem Verlängerungsstempel zu verhelfen. Dazu gehört der Vorschlag der Wachgesellschaft, bereits am Abend Nummern zu verteilen, damit die Flüchtlinge die Nacht nicht auf der Wiese verbringen müssen. Zu erwähnen ist auch das Angebot des Martin-Niemöller-Hauses, Zelte aufzubauen, wenn schon das Nachtlager nicht zu vermeiden ist. Beides wurde von der Innenverwaltung abgelehnt. Genau diese Kombination, nichts zu tun und andere Hilfe abzuwehren, ist es, was das staatliche Verhalten als Schikane entlarvt. Jene Menschen, die erst im Sommer auf öffentlichen Druck in der Stadt eine zeitweilige Bleibe finden konnten, sollen nun dafür büßen. Auf diese gehässige Art, die den Duldungsstempel wie eine unverdiente Gnade erscheinen läßt, soll den Menschen klargemacht werden, wie unerwünscht sie dem Senat sind. Gerd Nowakowski