Warum Kroaten eine Straße sperren

Hilfslieferungen der UNO werden nicht nur von serbischen Truppen behindert/ Über Mostar wäre eine Versorgung der eingeschlossenen bosnischen Städte auch im Winter möglich  ■ Aus Split Andreas Zumach

„Zwölf Lastwagen eines UNO- Hilfskonvois gerieten auf der Straße zwischen Mostar und Sarajevo unter serbisches Artilleriefeuer und mußten nach Split umkehren.“ Dies berichtete am letzten Samstag der kroatische Rundfunk. Und unter Berufung auf den regierungsnahen bis -abhängigen Sender verbreiteten ausländische Nachrichtenagenturen die Meldung weltweit.

Nicht einen Dinar würde Morten Boe Frederiksen auf die Richtigkeit dieser und ähnlicher Nachrichten der letzten Wochen verwetten. Der Offizier aus dem dänischen Esbjerg leitet seit vier Monaten das in einem Industriegebiet außerhalb Splits gelegene zentrale Warenlager des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) für die Hilfslieferungen nach Bosnien- Herzegowina. Sämtliche Landtransporte nach Sarajevo oder in andere Orte gehen von hier aus. Und Frederiksen sowie seine Kollegen haben in diesen vier Monaten oft genug die Strecke über Mostar nach Sarajevo „zu nehmen“ versucht. Denn sie führt über knapp 400 Kilometer ausschließlich gut befestigte Asphaltstraßen zunächst von Split über die Adria- Küstenstraße nach Kardeljevo und von hier durch das Flußtal der Nerevta über Mostar und Jablanica in die bosnische Hauptstadt. Straßen ohne große Steigungen, die selbst im Winter für größere Transporter „geeignet“ sind.

200 Tonnen als Minimalbedarf

Könnten diese ohne Behinderung verkehren, wären pro Tag nur fünf Fahrten notwendig, um die Bevölkerung von Sarajevo mit den 200 Tonnen Lebensmitteln zu versorgen, die das UNHCR als „Minimalbedarf zur Verhinderung von Hungertoden“ ermittelt hat. Ja, es ließen sich dann auch noch viel mehr und vielleicht rechtzeitig vor Wintereinbruch Decken, Kleidung und Materialien zur Kälteisolierung von Gebäuden nach Sarajevo bringen. Und auch die Region um Travnik, in der inzwischen fast 30.000 Menschen Zuflucht suchen, sowie andere von den Medien vernachlässigte bosnische Orte könnten verstärkt beliefert werden.

Doch bislang mußten Frederiksen und seine Fahrer nach einem oder gar zwei Dritteln der Strecke über Mostar noch jedesmal umkehren. Gestoppt wurden sie nicht etwa durch serbisches Artilleriefeuer: „Darauf wissen wir uns einzustellen. Meistens sind wir über Funk vorinformiert und legen eine Pause ein. Der Artilleriebeschuß auf dieser Strecke ist nicht stärker oder häufiger als auf anderen Routen“, faßt Frederiksen seine Erfahrungen zusammen. Angehalten und zur Umkehr gezwungen wurden die Hilfskonvois, die ja auch zur Versorgung von rund 90.000 kroatischen EinwohnerInnen Sarajevos beitragen sollen, jedesmal von kroatischen Milizen. Und die rühmen sich nach jeder Blockadeaktion, die Lastwagen vor serbischen Angriffen gerettet zu haben. Frederiksen hat für diese absurde Situation nur eine Erklärung: „Die fürchten wohl, wenn sie die Straße über Mostar freigeben, stellen UNO und EG doch nicht die versprochenen Gelder für die Asphaltierung der derzeit von uns benutzten Strecke zur Verfügung.“

Und diese Strecke ist ein Alptraum für jeden Lkw-Faher. Über 366 Kilometer führt sie von Split in steilen und engen Bergwindungen über Livno, Travnik und Zenica nach Sarajevo. Nur knapp 80 Kilometer sind asphaltiert, der Rest zumeist unbefestigte Schotterwege. Wenn der Winter voll einbricht mit Schnee und Eis, muß der Hilfskonvoi-Verkehr über diese Route ganz eingestellt werden, ist Frederiksen überzeugt. Schon nach den mittelschweren Regenfällen der letzten Woche stand das Wasser an manchen Stellen knietief. Immer häufiger bleiben Lkw im Schlamm stecken, blockieren die Straße für alle nachfolgenden Fahrzeuge und müssen in umständlichen, zeitraubenden Manövern wieder flott gemacht werden.

Keine Lastwagen aus Deutschland

Die Hilfskonvois brauchen durchschnittlich knapp zwölf Stunden reine Fahrzeit, und damit mindestens vier Stunden mehr als auf der etwas längeren Mostar-Route. Weil das Fahren über die unbeleuchteten Wege bei Dunkelheit zu gefährlich ist, übernachten die Fahrer im UNHCR-Zwischenlager bei Travnik. So sind die Konvois von Split nach Sarajevo fast 24 Stunden unterwegs. Und die Straßenverhältnisse lassen nur eine Beladung der Lastwagen mit maximal zehn Tonnen Fracht zu. Also müßten täglich zwanzig Laster in Split aufbrechen, um die minimal benötigten 200 Tonnen Lebensmittel nach Sarajevo zu schaffen.

Tatsächlich verlassen derzeit nur zehn Lkw jeden Morgen um halb acht das UNHCR-Zentrallager. Zum einen kommen in dem Lager noch immer nicht genügend Hilfslieferungen aus den europäischen Staaten an: Die eintreffenden Weizenmehlsäcke und Fleischkonserven aus EG-Überschußbeständen, Kisten mit italienischer Pasta und Tomatensauce oder auch die von der Feuerwehr Barcelonas gespendeten Wasserschläuche werden meist binnen weniger Stunden auf die Lkw verladen und auf den Weg gebracht. Das weitaus größere Problem aber: Es gibt trotz der zahlreichen Appelle des UNHCR an die internationale Staatengemeinschaft immer noch viel zu wenige Lastwagen. Konkret bis zum letzten Wochenende: zwölf dänische, zehn schwedische, zehn norwegische und 15 britische.

Warum bis heute immer noch keine Lkw und Fahrer aus Deutschland oder Frankreich in Split aufgetaucht sind? Der dänische Offizier, der sich wie seine derzeit hier tätigen elf Landsleute freiwillig auf eine Anzeige der Kopenhagener Regierung hin meldete, zuckt resigniert die Schultern: „Die Lkw und Fahrer mit entsprechender Bereitschaft sind in diesen Ländern sicher auch vorhanden. Vielleicht haben sich die Regierungen noch nicht richtig bemüht, sie zu rekrutieren.“