„Zärtlich und zugleich subversiv“

■ Petra Kelly war eine eindrucksvolle Symbolfigur der Grünen, die in ihrer Partei unaufhaltsam ins Abseits geriet/ Ihr Ansehen im Ausland war bis zuletzt sehr groß

Sie sah aus, wie sie fast immer aussah: das Gesicht bleich, bläulich-dunkel die Ringe unter ihren Augen. Dennoch strömte diese so zart und zerbrechlich wirkende Frau die ihr eigene manische Vitalität aus. Sie redete im Stakkato, ließ ihren Lebensgefährten Gert Bastian kaum zu Wort kommen. Die beiden hatten vor ihrem Besuch in der tageszeitung im Februar dieses Jahres gerade zusammen mit ihrer Freundin Bärbel Bohley Stasi-Akten gelesen, waren noch ganz benommen von dieser Schattenwelt der Tarnnamen und IM-Berichte.

Als wir ihr den Neubau der taz zeigten, war sie hingerissen von der obersten, nahezu leeren glasumhüllten Etage. „Hier würde ich einen Meditationsraum einrichten“, schlug sie vor.

Wir sprachen nicht nur über die Stasi, sondern auch über Tibet – das Thema, das Petra Kelly in den letzten Jahren am meisten am Herzen lag. Aber wir lachten auch und amüsierten uns prächtig. Die gehetzt und leidend wirkende Person, die der Hysterie verdächtige Apokalyptikerin war nie die ganze Petra Kelly.

Kelly und Bastian, dieses so unterschiedliche und deshalb wohl auch so symbiotische Paar, erzählten von einem Treffen mit Wladimir Tschernousenko, einem der drei Leiter des Aufräumteams von Tschernobyl, in Mexiko. „Schlimmer als der verwegenste Spionagethriller“, wie dieser Geheimnisträger des Nuklearzeitalters von attraktiven Frauen verführt werde, von denen nur unklar sei, welcher Geheimdienst sie auf ihn angesetzt hatte. Immer wieder sagte Petra Kelly: „Aber der arme Mann hat vielleicht noch ein Jahr zu leben.“

Petra Kelly, so beschreibt sie Marieluise Beck, die mit ihr zu den Gründerinnen der Grünen gehörte, war zeit ihres Lebens eine Person, die „mit ihrem ganzen Sein nach außen gegangen, ja nach außen gestrudelt ist“. Diese Eigenschaft hat Petra Kelly ganz früh zu einem öffentlichen Engagement getrieben. Ihre ersten politischen Erfahrungen machte sie dabei in den USA. Mit ihrer Familie – ihr Stiefvater John E. Kelly war Amerikaner – ging sie 1960 in die USA und absolvierte dort ihre College- und Universitätsausbildung. Bereits während des Studiums arbeitete sie für die Demokratische Partei, vor allem unterstützte sie den Wahlkampf Robert Kennedys und nach dessen Ermordung die Kampagne von Hubert Humphry.

Während sie von 1971 bis zu ihrer Wahl in den Bundestag 1983 in unterschiedlichen Funktionen bei der EG in Brüssel arbeitete und 1973 zur Verwaltungsrätin befördert wurde, galt ihr vordringliches persönliches und politisches Interesse der Krebsvorsorge für Kinder. Mit zehn Jahren war ihre Halbschwester Patricia an Krebs gestorben, ein Schicksalsschlag für die Familie, den Petra für sich nach außen wendete. Sie gründete ihre erste Quasi-Bürgerinitiative, eine Vereinigung zur Unterstützung der Krebsforschung bei Kindern, die sich auch der Betreuung der PatientInnen annahm. Als Petra Kelly begann, sich dafür zu interessieren, ob Krebs bei Kindern, die in der Umgebung atomarer oder chemischer Großanlagen aufwachsen, häufiger auftritt als sonst, war sie am Beginn ihrer politischen Laufbahn angelangt.

Noch war sie Mitglied der SPD, die Atomreaktoren befürwortete, doch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre waren die Bürgerinitiativen zu einem wichtigen Faktor in der politischen Landschaft geworden und drängten schließlich auch zu festeren Organisationsformen. Dazu kam, daß die radikale Linke von den K-Gruppen der 70er Jahre maßlos enttäuscht war und nicht länger auf das revolutionäre Subjekt Arbeiterklasse warten wollte. Petra Kelly tat dies schon längst nicht mehr. Für sie waren die Gattungsprobleme der Menschheit in den Vordergrund gerückt, vor allem anderen mußte die Zerstörung des Planeten gestoppt werden.

So trafen sich 1978–79 drei politische Strömungen: Ökologen aus dem Establishment, radikale Linke und Menschen aus Bürgerinitiativen. Petra Kelly kam vom Vorstand des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen Umweltschutz, BBU, und war dort für internationale Kontakte zuständig. Ihre im Vergleich reichen politischen Erfahrungen, vor allem aber die geradezu missionarische Hingabe an die Sache machten Petra Kelly in der Frühphase der Grünen zu dem Aushängeschild der Partei. Was sie später ins Abseits drängte, war in den ersten Jahren ihre Stärke. Statt zu taktieren, pochte sie auf die Notwendigkeit des Engagements in der Sache, beschwor die drohende Apokalypse und erreichte ein Publikum weit über die Anhänger der jungen Partei hinaus.

Petra Kelly wurde erste Sprecherin der Partei und führte die Grüne Liste bei den Europawahlen 1980 an. Von ihrer Partei forderte sie Aktionen statt Sitzungen– die Bevölkerung sollte wachgerüttelt werden. Die Partei und später das Parlament waren für Petra Kelly immer und vor allem anderen die öffentliche Bühne, deshalb wollte sie die Entwicklung zu einem konventionellen Parteiapparat auch verhindern. Sie prägte den Begriff der „Antipartei-Partei“: fundamentale Opposition mit allen gewaltfreien Mitteln. Vor dem Einzug in den Bundestag sagte sie: „Wenn die Grünen eines Tages anfangen, Minister nach Bonn zu schicken, dann sind es nicht mehr die Grünen, die ich mit aufbauen wollte.“

Zum einen in dieser Überzeugung, zum anderen aber auch in ihrem persönlichen Selbstdarstellungsdrang – bei den Grünen später als „Petras Narzißmus“ bekannt – zeigten sich schon bald die Konfliktlinien zwischen ihr und der Partei. Seit der Gründung 1979 bis Ende 1982 war Petra Kelly in der Öffentlichkeit fast Synonym für die Partei. Sie kandidierte für einen Sitz im Bundestag und schaffte mit ihrer Partei im April 1983 dann endlich den historischen Sprung. Wieder stand sie im Mittelpunkt – diesmal als eine der drei Sprecherinnen der Fraktion, die nach ihrem Einzug ins Parlament für die Medien natürlich wichtiger waren als der Parteivorstand. Damit hatte sie den Höhepunkt ihrer politischen Karriere erreicht.

Später dachte sie laut darüber nach, ob die Grünen nicht besser eine soziale Bewegung hätten bleiben sollen. In der Bundestagsfraktion spielte sie kaum mehr eine Rolle. Der ritualisierten Grabenkämpfe der Ideologen und Psychokriege der Partei müde, engagierte sie sich mehr außerhalb des Parlaments.

Sie initiierte und unterstützte Aktionen und Kampagnen aller Art, einerlei ob es um die Blockade des Pershing-Depots in Mutlangen oder eine Friedensaktion auf dem Ostberliner Alexanderplatz ging – sie war zur Stelle. Als Kosmopolitin hatte sie Freundinnen und Freunde auf der ganzen Welt, reiste unermüdlich von einer internationalen Konferenz zur nächsten Aktion. Nicht nur in den USA, sondern in vielen Ländern mehr war und blieb sie die bekannteste deutsche Grüne.

Sie setzte sich für jugoslawische Dissidenten ein und knüpfte Kontakte mit der DDR-Friedensbewegung, was ihr heftige Kritik von der Stasi-Fraktion der Grünen einbrachte. Sie unterstützte den Dalai Lama bei seinem gewaltfreien Widerstand gegen die chinesische Repression in Tibet oder vernetzte zu Beginn des Golfkrieges, als „Scheherazade“ begründet wurde, diese internationale Frauen-Initiative mit manchen ihrer zahllosen Kontakte.

Dennoch versuchte sie, naturgemäß an die vergleichsweise luxuriöse Logistik einer Bundestagsabgeordneten gewöhnt, im Mai 1990 wieder einen sicheren Listenplatz für den Bundestag zu bekommen. In Hessen demonstrierten ihr jedoch Joschka Fischer und seine Realo-Truppe, wer bei den hessischen Grünen das Sagen hat: Petra Kelly fiel durch.

Im Gegensatz zu Fischer und vielen anderen ehemaligen Linksradikalen, die ihre Revolutionsromantik und -emphase in der 68er- Bewegung ausagiert hatten und jetzt auf stromlinienförmige Realpolitik drängten, hielt sie am dysfunktionalen Ethos des außerparlamentarischen Protestes fest. Auch hatte sie sich lange schon aus dem kontraproduktiven Strömungskampf zurückgezogen, gleichwohl die Realos immer wieder kritisiert. Vor diesem Hintergrund wurden weder sie noch Freya Klier, sondern drei getreue Realos nominiert. Petra Kelly ließ sich von keiner Strömung und Fraktion einbinden. Es war nicht wenig anstrengend, mit ihr zusammenzuarbeiten, denn ihr Arbeitsstil war sowohl preußisch diszipliniert als auch individualanarchistisch. „Ich habe immer das gesagt und getan, was ich für richtig halte“, sagte sie einmal in einem Interview. „Ich bin nun mal ein großer Dickkopf.“

So setzte sie sich Anfang dieses Jahres in den Kopf, bei dem Privatsender „Sat.1“ ein reißerisch konzipiertes Umweltmagazin zu moderieren. Unter anderem in der taz wurde sie ob des kommerziellen Umfeldes der Sendung kritisiert, die Chefredaktion entzog ihr die Moderation. Man konnte Petra Kelly enervierende Egomanie oder gelegentlich auch politische Naivität vorwerfen, doch sie war in jedem Fall aufrichtig und direkt, verkörperte also jene Eigenschaften, die wir bei der herrschenden politischen Klasse immer schmerzlicher vermissen. 1984 schrieb sie: „Zärtlich und zugleich subversiv sein, das bedeutet für mich politisch ,grün‘ wirken und sein.“ Jürgen Gottschlich/

Michael Sontheimer