Realistin mit utopischer Sicht

■ Der Ex-Vorstandssprecher Lukas Beckmann über Petra Kelly

Sie bewegte sich eigentlich in einer Übergangssituation. Lukas Beckmann erinnert sich an das letzte Gespräch Anfang Oktober: Petra Kelly war entschlossen, bei der nächsten Bundestags- oder Europawahl für die Grünen zu kandidieren. „Die Grünen, das war Petra Kelly, Petra Kelly, das war im Ausland die grüne Partei, bis heute“, sagt Lukas Beckmann. Bei den Grünen in der Bundesrepublik mußte Petra Kelly ihre Rolle Mitte der 70iger Jahre und erst recht nach dem Verlust des Bundestagsmandats ihre Rolle neu bestimmen. Nicht politisch, das war ihre Analyse, menschlich vor allem seien die Grünen gescheitert. Das Klima in der Fraktion hatte sie oft auch öffentlich beklagt, aber der wichtigste Grund für die Niederlage sei der fehlende Mut gewesen. Der Mut, den Visionen auch wirklich nachzugehen.

Voller Energie, sehr lebendig und immer mit der eigenen Sprache kämpfend, ob es nicht doch noch schneller gehen kann – das war Beckmanns Eindruck bei der ersten Begegnung. Im März 1979 trafen sich in Frankfurt die AktivistInnen der ersten Stunde, um die Gründungsversammlung der „Sonstigen Politischen Vereinigung die Grünen“ vorzubereiten, darunter Beckmann und Petra Kelly. Eine langjährige politische und persönliche Verbindung begann. Für Beckmann ist Kelly die eigentlich tragende, gestaltende Persönlichkeit der Parteigründung. Staatsübergreifend, blockübergreifend und über die Ideologien hinausgreifend von Anfang an, verkörperte sie in ihrer Person den innovativen Wind, den die Grünen Anfang der 80er Jahre in die Bundesrepublik gebracht hätten. „Sie hat oft darunter gelitten“, beschreibt Beckmann ihren inneren Konflikt, „daß sie aus ihrer Sicht eigentlich Realistin war, innerhalb des politischen Spektrums der Bundesrepublik aber eher Utopistin oder Fundamentalistin sein mußte.“ Amerikanisch sozialisiert, hatte sie einen eigenen Blick auf Deutschland und empfand vieles an der hiesigen politischen Unkultur, die der Grünen eingeschlossen, als fremd. Kein anderer Mensch sei ihm bekannt, der sich in solchem Maß um Einzelschicksale gekümmert habe. Ihr Engagement gegen den Kinderkrebs: Die Vision vom Kinderplaneten verband sie mit einer Unzahl von Einzelschritten. Das Thema Tibet holte sie mit ihrer ganzen Energie an die Öffentlichkeit.

Die Gründungsphase der Grünen, „als wir in der ganzen Republik herumgereist sind, mit Beuys und Rudi Dutschke, das war eine politisch sehr intensive, eine menschlich sehr fröhliche Zeit“. Der Einzug in den Bundestag gehörte sicher zu den wichtigsten Erfolgen für Petra Kelly. Aber wohl noch wichtiger sei für sie gewesen, daß sie vor sich selbst bestehen konnte, weil sie alles versucht hat, daß es kein Kind so schwer haben muß wie ihre an Krebs verstorbene Schwester Grace. Zu Kellys Willenskraft gehört, daß „sie sehr scharf war, auch im Angriff auf solche Positionen, die sie nicht geteilt hat“. tib