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„Asche gehört in die Urne, nicht aufs Haupt“

■ Karl Eduard v. Schnitzler las aus seinem neuesten Buch: dem „Roten Kanal“

Berlin. In wenigen Tagen jährt sich die Einstellung des „Schwarzen Kanals“, der am 30. Oktober 1989 zum 1.519. und letzten Mal gesendet wurde. Sicher zur Freude vieler ehemaliger DDR-Bürger, die die jeweils 25minütige „Hygiene im Äther“ (O-Ton Schnitzler) als „verfälschendes Herausreißen von Zitaten aus dem Zusammenhang“ empfanden. Der jüngste Sohn des Generalkonsuls und königlich preußischen Geheimen Legationsrates Julius Eduard v. Schnitzler und seine Anhänger sehen das anders. „Die einzigen Unwahrheiten des Schwarzen Kanals“ seien „Zitate aus dem Westfernsehen“ gewesen, so Karl Eduard am Dienstag abend im Weddinger „Linkstreff“. Etwa 60 meist ältere Menschen waren einer Einladung der Buchhandlung „Karl Marx 64 GmbH“ gefolgt, um Auszügen aus seinem neuen Buch „Der rote Kanal“ zu lauschen.

Verlegt wurde es im altanarchistischen Nautilus-Verlag in Hamburg, der mit Schnitzler vereinbart hat, die Höhe der ersten, bereits verkauften Auflage nicht bekanntzugeben. Grund: „Die Bedeutung des Buches soll nicht an dessen Auflage gemessen werden.“

Im gleichen Raum, wo sich vor zwei Wochen Vertreter des „Nationalkomitees Freie DDR“ getroffen hatten (die taz berichtete), saßen jetzt Frauen und Männer, die, wie es ein Reinickendorfer PDS-Mitglied ausdrückte, „Karl- Eduard v. Schnitzler und seinen Schwarzen Kanal vermissen“.

Im Vorwort zu seinem neuen Buch, das er zwischen Januar 1990 und Oktober 1991 mit anderthalbjähriger Denkpause geschrieben hat, wimmelt es von Selbstbekenntnissen: „Ich liebe Deutschland, ich bin Deutscher.“ Oder: „Ich habe stets auf der richtigen Seite der Barrikaden gestanden.“ „Kein Kommunist hat sich vor Kapitalisten zu entschuldigen. Selbstkritik ja, Selbstzerfleischung nein.“ Und am Schluß des Vorwortes: „Asche gehört aufs Glatteis und in die Urne, aber nicht aufs Haupt.“

Schnitzler, der 1948 in die SED eintrat und – was weniger bekannt ist – zuvor stellvertretender Intendant des NWDR in Köln war, rechnet im „Roten Kanal“ ab: mit Agenten wie James Bond, „die im Auftrag des Staates Verbrechen begehen“; mit den Abhörskandalen in der alten Bundesrepublik („Meine Frau und ich pflegen den Bundesnachrichtendienst am Telefon immer zu begrüßen“); mit „politisch unerfahrenen Westjournalisten“. Zu dem Thema „Mysterium für Staatssicherheit“ fiel ihm nichts Besseres ein als: „Man darf über Menschen, die im Rahmen von Verfassung und Gesetz für die Sicherheit ihres Landes tätig gewesen sind, nicht schlecht denken.“ Ein Großteil der Anwesenden fühlte sich sichtlich angesprochen und nickte zustimmend. Barbara Bollwahn

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