„Aids kriegst du leicht im Knast, Spritzen nicht“

■ ACT UP protestierte gestern gegen die Gesundheitspolitik in Berliner Knästen

Berlin. Mit der Aktion, sterile Spritzen über die Mauer des Haftkrankenhauses Moabit zu werfen, haben gestern mehrere Männer und Frauen der Gruppe ACT UP gegen die gesundheitspolitischen Mißstände in den Berliner Knästen protestiert. Obwohl es inzwischen nicht mehr strafbar ist, sterile Spritzen an Drogenabhängige zur Aids-Prophylaxe zu verteilen, sind die Gefangenen der Berliner Haftanstalten weiterhin zum needle-sharing verdammt und somit der Gefahr ausgesetzt, sich mit dem HIV-Virus zu infizieren.

„Aids kriegst du leicht im Knast, aber Kondome und Spritzen nicht“, hieß es auf einem Transparent von ACT UP am Zaun der Moabiter Haftanstalt. Während die sterilen Spritzen über die Mauer flogen, wies eine Sprecherin der Gruppe darauf hin, daß sich bis zu 60 Drogenabhängige eine Spritze teilten. „Da viele HIV-positiv oder sogar aidskrank sind, ist es nur logisch, daß die, die noch nicht infiziert sind, über kurz oder lang den Virus haben werden.“ Schätzungen zufolge sind im Männerknast Tegel zwischen 30 und 50 Prozent und in der Frauenhaftanstalt Plötzensee 40 Prozent der InsassInnen drogenabhängig. Etwa 100 bis 300 Gefangene sollen bereits HIV-positiv sein.

Die von ACT UP und Bündnis 90/Grüne schon lange geforderte anonyme Vergabe von sterilen Spritzen würde das Risiko der Aids-Infektion zumindest vermindern. Bislang war die Spritzenvergabe von der Justizverwaltung immer damit verweigert worden, man mache sich nach dem Betäubungsmittelgesetz (BTmG) strafbar. Inzwischen zieht dieses Argument jedoch nicht mehr, weil der entsprechende Passus im BTmG im September novelliert worden ist. Trotzdem hält Justizsenatorin Limbach (SPD) an der einmal eingeschlagenen Linie fest. Sie begründet dies damit, daß die Vollzugsbeamten nicht nachvollziehen könnten, daß sie die Drogen strikt aus den Gefängnissen fernzuhalten hätten und die Verteilung von „Suchthilfsmitteln“ dulden sollten. Die Entscheidung wird laut Senatsbeschluß von Ende August von allen Senatoren einstimmig mitgetragen. Selbst Gesundheitssenator Peter Luther (CDU), der zuvor noch für eine Freigabe von Spritzen durch Gefängnisärzte plädiert hatte, stellte sich nicht quer. Luthers Sprecherin Gabriele Lukas begründete dies gestern damit, ihr Chef habe sich mit Justizsenatorin Limbach dahingehend verständigt, daß bis zum Ende des Jahres ein Aids-Präventionskonzept in den Knästen erarbeitet werden solle. Der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Grüne, Bernd Köppl, hält die Entscheidung des Senats aus seuchenpolitischer und ethischer Sicht für unzumutbar. Damit werde eine ganze Bevölkerungsgruppe, nur weil sie im Knast sitze, von der Gesundheitsvorsorge ausgeschlossen. Die Tiergartener AL-Gesundheitsstadträtin Sabine Nitz-Spatz erklärte, daß die Justizverwaltung damit „bewußt“ weitere HIV-Infektionen unter den Gefangenen in Kauf nehme. plu