Regierungskrise in Israel

■ Koalitionspartner von Rabin droht mit Unterstützung eines Mißtrauensvotums

Tel Aviv (taz) — Nach nur 100 Tagen Amtszeit befindet sich die Rabin-Regierung in ihrer ersten größeren Krise. Unmittelbar vor der Eröffnungssitzung der Knesset nach den Parlamentsferien haben die Oppositionsparteien einen Mißtrauensantrag gegen die junge Koalitionsregierung gestellt, über den in zwei Wochen abgestimmt werden soll. Die religiös-orthodoxen Parteien fordern ultimativ den Rücktritt der wenig frommen Erziehungsministerin Shulamit Aloni, die vom linksliberalen Parteienbündnis Meretz in die Regierung entsandt wurde. Und mit von der Partie ist die sephardische „Schass-Partei“, neben Meretz der zweite Koalitionspartner von Rabins Arbeitspartei. Ihre Abgeordneten drohen, sich dem Mißtrauensvotum anzuschließen.

Die Krise ist damit aber nur vordergründig beschrieben. Sie hängt eng mit dem Wunsch von Ministerpräsident Rabin zusammen, die Koalition auf eine breitere parlamentarische Basis zu stellen. Schon unmittelbar nach seinem Wahlsieg im Juni 92 hatte er diesen Versuch unternommen. Wie damals beabsichtigt Rabin auch jetzt, weitere religiöse Parteien für die Koalition zu gewinnen und mit Hilfe der „Tzomet“-Fraktion des ehemaligen Generals Rafael Eitan einen „rechten Ausgleich“ für die linksliberalen Vertreter in der Regierung zu schaffen. Unmittelbar vor dem Zusammentreten der Knesset liefert der scharfe Widerstand der religiösen Parteien gegen die Politik von Shulamit Aloni Rabin den passenden Anlaß dafür.

Die orthodoxe „Schass“-Partei in der Regierung verlangt jetzt den sofortigen Rücktritt der als Freidenkerin bekannten Ministerin. Ministerpräsident Rabin hat es zunächst den beiden streitenden Koalitionsparteien Schass und Meretz überlassen, den drohenden Zusammenbruch der Koalition zu verhindern. Da sich Frau Aloni jedoch standhaft weigert zurückzutreten, bleibt die Kontroverse ungelöst. Damit ist eine Schwächung der Position des linksliberalen Koalitionspartners Meretz abzusehen.

Währenddessen verhandelt Rabin bereits erneut mit den religiösen Oppositionsparteien und mit Tzomet über die Bedingungen für ihren Eintritt in die Regierungskoalition. Außerdem hat er auch entsprechende Kontakte mit den Führern des Likud geknüpft. Rabin will unter gar keinen Umständen ohne Schass und allein mit Meretz eine „kleine Koalition“ bilden, die dann auf die Unterstützung „arabischer Fraktionen“ in der Knesset, der „Demokratischen Front“ und der „Arabischen Demokratischen Partei“ von Abdel Wahab Darhausche, angewiesen wäre. Dies würde nicht nur Rabins nationalistischen Grundsätzen widersprechen. Seine Basis in der Knesset wäre dann vermutlich auch zu schmal, um eventuelle Fortschritte im Friedensprozeß auf parlamentarischer Ebene bestätigen zu lassen.

Dabei ist sich der Ministerpräsident natürlich im klaren darüber, daß die Oppositionsparteien unter der Führung des Likud nach den letzten Wahlergebnissen nicht mehr in der Lage sind, eine alternative Regierung zu bilden. Als Regierungschef sitzt er also weiterhin sicher im Sattel.

Es ist anzunehmen, daß Frau Aloni unter dem intensiven Druck religiöser und rechter Oppositionsparteien schließlich gezwungen sein wird, ihren gegenwärtigen Regierungsposten gegen einen anderen einzutauschen. Zum Beispiel wäre denkbar, daß sie durch eine Ernennung zum stellvertretenden Ministerpräsidenten geehrt und gleichzeitig „unschädlich“ gemacht wird. Andererseits wäre es für ihre Meretz-Partei wohl nicht erträglich, auch noch die rechte Tzomet-Partei und deren Führer „Raful“ Eitan mit in dieselbe Regierung zu bekommen. Denn eine Regierungsbeteilgung rechtsextremer Politiker zu diesem Zeitpunkt wäre vor allem auch ein Signal dafür, daß in den Nahostverhandlungen kein Fortschritt zu erwarten ist. Wie Rabin die Krise lösen wird, weiß er wohl selbst noch nicht genau. Einstweilen macht der Sturm im Wasserglas Geräusche, die das derzeit wichtigste Thema, die gestern wieder aufgenommenen Nahostverhandlungen mit den Palästinensern und den arabischen Regierungen fast ganz übertönen. Amos Wollin