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Wenn Japans Kaiser Akihito morgen in China eintrifft, wird er kaum mehr als vage Worte des Bedauerns finden für die 20 Millionen Opfer der japa- nischen Besatzung (1937-45). Dennoch will China das aufgelockerte Groß- machtverhältnis für eine Intensivierung der Handelsbeziehungen nutzen.

Beziehungsboom aus Staatsräson

Schade eigentlich – da reist ein japanischer Kaiser endlich mal nach China, und dann kommt er 80 Jahre zu spät; schon am 12. Februar 1912 verkündete die damalige Mandschu-Regierung die Abdankung des letzten Kaisers von China. Trotzdem freuen sich die meisten Japaner über die Reise Akihitos, von den Rechtsradikalen und Kommunisten einmal abgesehen. Denn ein Tenno-Besuch in Peking– das ist ein neues Kapitel in der Geschichte Japans. Tatsächlich hat noch nie zuvor ein japanischer Kaiser China besucht, obwohl die erste japanische Gesandtschaft bereits im Jahr 607 ins Reich der Mitte reiste. Aus diesen frühen Zeiten stammen auch die China-Kenntnisse der Japaner; denn jedes japanische Schulkind muß die chinesische Geschichte büffeln, als sei sie die eigene. Von der Han-Zeit über das chinesische Mittelalter zur Sung- Zeit: Jeder japanische Abiturient kennt die wichtigen Jahreszahlen des 4.000jährigen chinesischen Kaiserreichs – keiner hat dafür je etwas von dem Völkermord vernommen, den die japanischen Armeen während der Besetzung Chinas (1937–45) verübt haben. Wer kann es dem Abiturienten also verdenken, wenn er den morgen beginnenden Besuch als neues Eckdatum der japanisch-chinesischen Beziehungen wertet?

Wohl noch nie zuvor in diesem Jahrhundert japanisch-chinesischer Feindseligkeiten standen sich die beiden Supermächte Asiens so nah wie heute. Ein beispielloser Handelsboom zwischen beiden Ländern und die aufgelockerten Großmachtverhältnisse nach Ende des Kalten Krieges haben dem Verhältnis zwischen Tokio und Peking unerwarteten Spielraum verschafft. Der Besuch von Akihito zeigt nun, daß beide Regierungen diesen Raum auch nutzen wollen. Denn diesmal mußten beide Seiten über ihren Schatten springen. Für die chinesische Regierung war es nicht einfach, den japanischen Kaiser zu empfangen, ohne auf der für Tokio unakzeptablen Forderung zu bestehen, daß dieser sich in China auch für die vergangenen Kriegsverbrechen entschuldige. Umgekehrt fiel es der japanischen Regierung nicht leicht, den Tenno in ein Land verreisen zu lassen, wo öffentliche Kritik am Kaiser nicht auszuschließen ist und Akihito möglicherweise unter politischen Druck geraten würde. Beide Regierungen räumten schließlich ihre Bedenken beiseite: Akihito wird sich also nicht entschuldigen. Gleichzeitig gab er dem Druck insofern nach, als er seine Reise unter das Motto der „Vergebung“ stellte.

Warum konnten sich die Regierungen einigen? „Weil es so eine Chance nicht noch einmal gibt“, meint Shinja Totsuka, China-Experte der japanischen Regierungspartei. „Denn dieser Besuch eröffnet für beide Länder eine neue Ära. Und er wird nicht nur die chinesisch-japanischen, sondern auch unsere Beziehungen zu anderen asiatischen Nachbarländern positiv beeinflussen.“ Totsuka spricht damit bereits die Sorgen an, die so mancher Nachbar in Anbetracht dieser Annäherung hegt. Zu wenig wurde die kriegerische Vergangenheit zwischen Japan und China aufgearbeitet und zu gegensätzlich erscheinen nach wie vor die Systeme beider Länder, als daß es sich derzeit um mehr als einen Burgfrieden zwischen Peking und Tokio handeln könne. So zumindest die Einschätzung einiger Regierungen in Südostasien, die einen chinesisch-japanischen Hegemonialstreit fürchten.

Was also, außer der Staatsräson, verbindet heute Japaner und Chinesen? Reichen die Kontakte unter den Völkern aus, um das Trauma der Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen? Geschätzte 200.000 Opfer innerhalb von drei Tagen forderte der Völkermord 1937 in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanking. Aber natürlich reist Akihito heute nicht nach Nanking. Statt dessen besucht er die alte Hauptstadt Xian in Zentralchina. Von dort übernahm Japan die städtische Architektur, um im 8. Jahrhundert die alte japanische Hauptstadt Kioto aufzubauen. Und es ist diese gemeinsame kulturelle – unverfängliche – Tradition, an die Japans Tenno anknüpfen möchte. Georg Blume, Tokio

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