Die Fiktion des gleichen Geschlechts

■ Eine gemischt-geschlechtliche Ausstellung im Schwulen Museum Berlin

Die musealisierte Welt hat unter anderem auch ein schwules Doppel, welches das Schwule Museum in Berlin verwahrt. Dort arbeitet man an der Archivierung homosexuellen Lebens, wie sonst auch Natur, Technik oder Tod aufbewahrt werden: auf der Grundlage einer Bibliothek. Hier füllen Cocteau, Proust oder Männerpornos aus der Kaiserzeit meterweise die Regale. Bis November drängen sich überdies Arbeiten von 47 Künstlern und Künstlerinnen zwischen die Bücher. Unter dem merkwürdig biologistischen Titel „Die Hormone des Mannes“ hat Wolfgang Müller ein für den Ausstellungsort recht unzweideutiges Prinzip von Ursache und Wirkung vorgegeben, unter das sich so ziemlich jedes Kunstwerk symbolisch subsumieren ließe.

Zum Glück haben die meisten Beteiligten den kommunikationstheoretischen Impetus nicht in transästhetischen Sozialkitsch übersetzt, sondern unmittelbar Bezug auf die Wörter genommen. Von der Last der Struktur befreit, sind ernste, hübsche oder alberne Metaphern entstanden, die eher Befindlichkeit denn Verbindlichkeiten spiegeln. Ein blasser Hodensack, von Martin Schacht im Bubble-Jet-Kopierverfahren monströs aufgeblasen, steht für die Liebe. Als melancholisches Klischee entstellt es den koketten Umgang mit der Heroisierung des Geschlechts.

Auf die Darstellung von Sex als Zeichen für das Sender/Empfänger-Modell haben bis auf Blalla W. Hallmann alle verzichtet. Seine Arbeit bildet in der karikaturistischen Überzeichnung der politischen Kopulation von Kohl und Bush den Gegenpol zu der sonst durchgängigen Aufhebung von aktiv und passiv konnotierten Verhaltensweisen im geschlechtlichen Umgang mit dem anderen, der ein gleicher ist. Die Besetzung des Körpers nach den Regeln der Verfügbarkeit eines transsexuellen Diskurses bleibt aus. Deswegen entsteht auch nirgends Ekel vor den Exponaten, nicht einmal bei den Pißfotos, die Stefan Hayn kunstvoll zu Badezimmerutensilien und Schminktäschchen verklebt hat. Die Bilder zielen niemals auf die voyeuristische Akkumulation der dargestellten Gesten.

Die Einstellung zum eigenen Geschlecht ist entscheidender als die Vergewisserung seiner Praxis. Selbst die S/M-Logos der Künstlerin und Domina Sabina van der Linden bedienen kein imaginäres, obszönes Subjekt, sondern sie verlagern dessen Konnotationen in den Alltag. Gummi und Peitsche im Bondagebetrieb stehen der Profession(alität) des Fleischers mit Messer und Schürze in nichts nach/nahe. Dem Mechanismus der endlosen Verweiskette im Kunstbetrieb entzogen, können die Arbeiten wieder Geschichten erzählen, die über den symbolischen Charakter hinaus unterhalten. „Erinnerung“ von Helgi Skuta Helgason aus Island ist eine solche Erzählung, die das Objekt, ein Spielzeugboot mit dem Kielaufdruck Made in U.S. Zone of Germany, zum Subjekt der Spurensuche einer wiedergefundenen Kindheit macht, wie sie Proust in den Madeleine-Küchelchen entdeckt zu haben meinte.

Vielleicht liegt in dieser Rückführung von Medien in Zeichen die größte Überraschungskraft der Ausstellung. Nicht das Spiel mit der gleichgültig gewordenen Differenz, sondern die individuellen Anknüpfungspunkte der Artefakte produzieren im Kern der Ausstellung eine Aussage: Das gleiche Geschlecht existiert nicht, nur in Vielheiten, die einander ähneln, so sie zusammenkommen. Oder wie Wolfgang Müller über „Sleeping Bag Jack/Sleeping Bag Jim“ von Marc Brandenburg geschrieben hat: „Geborgen ruhen in der Umhüllung einer anderen Haut.“ Das Objekt besteht aus zwei wie schlafende Matrosen genähten Schlafsäcken. Es darf gekuschelt werden. Harald Fricke

Noch bis 1. November, Mehringdamm 61.