„Der Pessimismus der 80er ist vorbei“

Großbritanniens Premierminister John Major hangelt sich von Krise zu Krise: Im Parlament sichert er sich eine knappe Mehrheit, aber auf den Straßen wächst der Bergarbeiterprotest  ■ Aus Sheffield Ralf Sotscheck

Der Sturm im Tory-Wasserglas war nur von kurzer Dauer. Bei der Abstimmung im britischen Unterhaus über die Zukunft der Bergbauindustrie kehrten am späten Mittwoch abend die meisten der konservativen Rebellen in den Schoß der Partei zurück. Lediglich sechs von ihnen stimmten für den Antrag der Labour-Opposition, die von der Regierung beschlossene Stillegung von 31 Bergwerken rückgängig zu machen. Sozialminister Nicholas Scott feuerte seine Privatsekretärin Elizabeth Peacock direkt nach ihrem Votum für den Labour-Antrag. Da sich die nordirischen Abgeordneten der Stimme enthielten, betrug die Regierungsmehrheit schließlich 13 Stimmen.

Diese Mehrheit hatte sich Industrieminister Michael Heseltine freilich durch erhebliche Zugeständnisse erkauft. So hatte er vor dem Unterhaus versprochen, eine umfassende Untersuchung der Energiepolitik einzuleiten. Darin einbezogen sind 21 der 31 Bergwerke, die die Regierung stillegen will — auf Kosten von 30.000 Bergarbeitern und doppelt so vielen Menschen in abhängigen Branchen, die ihre Jobs verlieren würden. Sie erhalten nun eine Gnadenfrist bis Januar, wenn der Untersuchungsbericht vorgelegt wird. Bei den übrigen zehn Bergwerken ließ Heseltine jedoch nicht mit sich reden. Sie werden nach 90 Tagen geschlossen. Gestern erhärtete sich der Verdacht, daß es sich bei der angekündigten Untersuchung um eine rein kosmetische Übung handelt. So will die Regierung damit unter anderem das Ingenieursbüro Boyds betrauen — dieselbe Firma, die die Regierung bei der Privatisierung der staatlichen Kohlegesellschaft berät und bereits die Stillegung der 31 Bergwerke empfohlen hat.

Der konservative Hinterbänkler Winston Churchill, der sich in den vergangenen Tagen zum Wortführer der Tory-Rebellen ernannt hatte und in letzter Sekunde den Schwanz einzog, warnte das Kabinett, daß die Unterhausabstimmung lediglich die erste Runde gewesen sei: „Die Regierung hat jetzt 90 Tage Zeit, um eine umfassende Energiepolitik zu entwickeln, in der British Coal und die Bergarbeiter eine Rolle spielen.“ Und an Heseltine gerichtet, fügte er hinzu: „Ich erinnere mich nicht, in meinen 22 Jahren als Abgeordneter einen Minister erlebt zu haben, der die öffentliche Meinung dermaßen falsch eingeschätzt hat.“

Auf der Gewerkschaftskundgebung nach der Demonstration von über 50.000 Menschen im Londoner Hyde Park sagte Dennis Skinner vom linken Labour-Flügel jedoch am Mittwoch, daß es fatal wäre, wenn sich die Bergarbeiter auf die Tory-Abtrünnigen verlassen würden. „Diesen Kampf gewinnen wir nicht im Parlament“, sagte er. „Wir sind auch die Kopfsteuer nicht im Parlament losgeworden, sondern auf der Straße.“ Sein Parteikollege Tony Benn sprach von einem Wendepunkt: „Die 80er Jahre mit ihrem Pessimismus sind endgültig vorbei.“ Der Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft NUM, Arthur Scargill, rief für Sonntag zu einer „noch größeren Demonstration“ auf. Und Labour-Führer John Smith sagte, die Zeit sei reif für eine breite Kampagne, um die Tories zu Fall zu bringen.

Premierminister John Major steht mit dem Rücken zur Wand. Eine Umfrage hat gestern ergeben, daß er der unbeliebteste Regierungschef in der britischen Geschichte ist. Nur noch 16 Prozent der Befragten haben Vertrauen zu ihm. Selbst seine Vorgängerin Margaret Thatcher brachte es kurz vor ihrem Sturz noch auf 20 Prozent. Um weitere Auseinandersetzungen vorerst zu vermeiden, hat Major die für Montag geplante Unterhausdebatte über die Maastrichter Verträge abgesetzt. Statt dessen will er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen: Hinter verschlossenen Türen einigte er sich am Mittwoch mit seinem Finanzminister Norman Lamont auf eine Haushaltserhöhung um mehrere Milliarden Pfund.