Gatt: China? — Igitt!

Die Angst der kapitalistischen Wirtschaftsblöcke vor dem neuen Konkurrenten China auf dem Weltmarkt/ Aufnahme wird verzögert  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Das bevölkerungsreichste Land der Erde mit seiner zunehmend international konkurrenzfähigen Wirtschaft möchte dem Welthandelsabkommen Gatt beitreten. Doch dabei stößt es auf hinhaltende Bedenken der großen kapitalistischen Wirtschaftsblöcke, die die neue Konkurrenz fürchten. Seit Mittwoch „examiniert“ in Genf der zuständige Ausschuß des Gatt (das ist die englische Abkürzung für Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) zum wiederholten Male die Wirtschaftspolitik Chinas, das 1950 das Gatt verlassen hatte, aber bereits 1986 einen Antrag auf Wiederaufnahme gestellt hat. Heute nun will der Ausschuß entscheiden, ob formelle Beitrittsverhandlungen mit der Regierung in Peking aufgenommen werden — oder ob man nicht lieber noch länger die „sozialistische Marktwirtschaft“ prüft.

Besonders am Terminus „sozialistische Marktwirtschaft“, mit dem Vizeaußenhandelsminister Tong Zhiguang am Mittwoch vor dem Ausschuß die Wirtschaftspolitik seiner Regierung beschrieb, machten die Vertreter der USA und der EG ihre Bedenken fest. Sie verlangten „mehr Klarheit“ und „konkretere Erläuterungen“ der chinesischen Wirtschaftsweise. Der Hinweis Tongs auf bereits eingeleitete Maßnahmen zur Preisliberalisierung und zur Lockerung der zentralen Kontrolle über staatliche Betriebe reichten den Europäern und US-Amerikanern nicht aus. Auch das Versprechen, die Preisreform innerhalb von drei Jahren abzuschließen, die Einfuhrzölle zu senken und andere Importschranken abzubauen, überzeugten nicht.

Hinter den Bedenken gegen eine Aufnahme Chinas stecken allerdings handfeste Interessen der Industrieländer des Nordens. China, so die Befürchtungen, könnte große Mengen preisgünstiger, doch qualitativ durchaus konkurrenzfähiger Produkte auf die nordamerikanischen und westeuropäischen Märkte werfen. Daher möchten die USA und die EG sicher sein, daß Chinas Regierung alle Arten staatlicher Unterstützungsleistungen an Betriebe offenlegt und sich zu ihrem Abbau entsprechend der Gatt-Regeln verpflichtet.

Doch bei aller Bereitschaft zur Wirtschaftsreform, die gerade auf dem Anfang der Woche beendeten 14. Parteitag der Kommunistischen Partei sehr deutlich wurde, gibt es klare Grenzen. Zu einer „Schockbehandlung“ à la Polen oder Rußland, das heißt einer Unterwerfung unter kapitalistische Marktbedingungen über Nacht, sind die Chinesen nicht bereit. Zwecks Verschleierung der Furcht vor neuer ökonomischer Konkurrenz finden USA und EG auch immer wieder politische Begründungen, um eine Gatt-Aufnahme Chinas hinauszuzögern. 1989 suspendierten sie die bereits sehr weit gediehenen Beratungen über den drei Jahre zuvor gestellten Wiederaufnahmeantrag des Landes mit Hinweis auf das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens.

1990 versprachen sie die Wiederaufnahme und „zügige Durchführung“ des Aufnahmeverfahrens unter der Bedingung, daß sich die chinesische Führung einem separaten Beitrittsbegehren Taiwans nicht in den Weg stellt. Peking stimmte zu. Jetzt, so heißt es in den Genfer Delegationen von EG und USA, müsse sichergestellt werden, daß ein Beitritt Taiwans zumindest zeitgleich mit dem Chinas besiegelt werde, besser noch vorher. Während sie auf diese Weise eine Teilnahme Chinas an der Weltwirtschaft nach den zwischen 107 Staaten multilateral geltenden Spielregeln des Gatt hinauszögern, bemühen sich die kapitalistischen Staaten zugleich um bilaterale Wirtschaftsabkommen mit der Volksrepublik — zu jeweils für sie selbst vorteilhaften Bedingungen. Den Anfang machten am 10. Oktober die USA mit einem Abkommen, das US-Produkten den Zugang zum chinesischen Markt erleichtern soll.

1991 verzeichneten die USA ein Handelsdefizit gegenüber China von 12,7 Millarden US-Dollar, für 1992 wird mit 15 Millarden Dollar gerechnet. US-Botschafter Moscow, der das Marktzugangs-Abkommen mit Peking ausgehandelt hatte, pries den Vertrag als „entscheidenden Schritt Chinas auf dem Weg zur Gatt-Mitgliedschaft“. Dennoch wird in Genf erwartet, daß die USA heute nachmittag ebenso wie die EG gegen die Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen stimmen werden.