Nicht nur für graue Mäuse

■ Naturfasern kommen langsam aus »Müsli«-Ecke heraus, aber auch sie sind mit Chemie bearbeitet

Naturtextilien bestellte bislang nur eine kleine Gruppe besonders gesundheits- und umweltbewußter Kunden beim Versandhandel, modische Ansprüche an die Bekleidung mußten sie dabei weitgehend vergessen. Aber auch in der Textilbranche wächst die Nachfrage nach gesundheitlich unschädlichen Produkten. Die „Natur“-Kleidung wächst langsam aus der „Reform“- und „Müsli-“Ecke heraus.

Naturfasern sind aber nicht nur schick, sie helfen auch den Wärmehaushalt des Körpers zu regulieren — mit der angenehmen Nebenwirkung, daß ein reinwollener Pullover oder die Baumwollbluse nicht so schnell verschwitzt sind wie Synthetikkleidung — daher auch nicht so oft gewaschen werden müssen.

„Nicht nur für graue Mäuse“ sei die Mode mit natürlichen Stoffen, die er in seinem Hamburger Laden verkauft, betont Manfred Ott. Farbe sei „wichtig als Ausdruck von Stimmung und Persönlichkeit“. Aber Farbstoffe belasten die Umwelt und können der Haut schaden. Die Textilbranche setzt 8000 verschiedene Färbemittel ein, davon sind 2000 schwermetallhaltige Azo-Farben, die im Verdacht stehen, Allergien und auch Krebs auszulösen. Sie dürfen zwar in Europa nicht verwendet werden, finden sich aber in importierten Stoffen. Zudem belasten die chemischen Farbstoffe die Umwelt.

So auch das geliebte Jeansblau, daß sich nach modischen Forderungen auch noch auswaschen muß und so bei jeder Wäsche in die Gewässer gelangt. Das wird vielleicht bald ein Ende haben, denn inzwischen wurden blaue Baumwollpflanzen gezüchtet. Nicht nur mit der fragwürdigen Methode der Genmanipulation, sondern auch mit herkömmlichen Zuchtverfahren sei es in Japan gelungen, die ersten Naturfasern in reiner Jeansfarbe zu ernten, berichtet Manfred Ott. Er verkauft in seinem Laden zwar bunte, aber keine schwarze Kleidung; denn die dunkle Farbe muß unter Einsatz von besonders viel Chemikalien fixiert werden.

Das gilt auch für Pflanzenfarben. Sie seien nicht unbedingt umweltfreundlich, so Manfred Ott, sondern bedeuteten auch eine „große Materialverschwendung“, weil zu ihrer Gewinnung große Mengen an Pflanzen benötigt werden. Besser seien geschlossene Kreisläufe in der Industrie bei der chemischen Färbung.

Nicht nur in den leuchtenden Farben herkömmlicher Kleidung steckt Chemie. Hilfsmittel wie chlorierte Kohlenwasserstoffe und Kunstharze sorgen dafür, daß das veredelte Stück nicht filzt, Wind, Regen Schmutz und Motten abweist, nicht einläuft und zudem bügel- und knitterfrei, antistatisch und schwer entflammbar ist — aber auch die Haut krank machen kann. Aus Fernost kommen auch bei uns Naturfasern in den Handel, die mit hierzulande bereits verbotenem Formaldehyd oder dem Flammschutzmittel Pentachlorphenol (PCB) behandelt sind — auf Grund mangelnder Einfuhrbestimmungen oder unzureichender Kontrolle. Wenn die Hersteller kundtun müßten „welche Chemikalien in der Kleidung stecken, wäre das Etikett länger als das Hemd“, vermutet Hans-Jürgen Billigmann von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände.

„Wir sind uns darüber im klaren, daß es nicht bei diesen Qualitätskriterien bleiben soll, sondern daß das nächste Ziel sein muß, die Frage der Rohstoffe über Tierhaltung, Anbau, Ernte, Aufbereitung zu klären; das heißt Engagement für artgerechte Tierhaltung und ökologischen Anbau der Pflanzen“, so ein Arbeitskreis Naturtextilien, der sich um selbstauferlegte Qualitätskriterien bemüht. Noch ist das Angebot an Fasern, die ohne Gifte gewonnen werden, gering. Wollschafe werden mit Insektiziden behandelt, bei Lagerung und Versand der Rohfasern kommen Gifte wie Lindan und Fungizide dazu.

Baumwolle wird größtenteils unter Einsatz chemischer Keulen gewonnen. Auf den Baumwollfeldern landet fast ein Fünftel der Weltproduktion von Pestiziden. Maschinengepflückte Baumwolle wird fast überall unter Einsatz von extrem umweltbelastenden Entlaubungsmitteln geerntet.

Es gibt zwar inzwischen ohne Pestizide und Kunstdünger angebaute und handgepflückte Baumwolle: aus der Türkei, Ägypten, Peru und den USA. Aber diese Felder „muß man auf der Weltkarte mit der Lupe suchen“, sagt Manfred Ott. Seine Schätzung: höch-

1stens fünf Prozent des Gesamtanbaus.

Sechs Tonnen Öko-Baumwolle sind für den dänischen Naturstoff- Hersteller „Novotex“ im vergangenen Jahr in der Türkei geerntet worden. Die Hemden dieser Firma lobte das Magazin Ökotest in seiner Mai-Ausgabe als empfehlenswert, auch weil „Novotex“ keine „Müslifresser-Mode“ macht und weil das Konzept von vorne bis hinten konsequent ist. Verarbeitet wird nur handgepflückte Baumwolle, gefärbt nur in geschlossnenen Kreisläufen, gebleicht nur mit Sauerstoff. „Die Konfektionäre müssen mehr Druck machen, erst dann wird sich auf Herstellerseite etwas ändern“, meint Bernhard Kappenborg, der in einer kleinen Firma im Bergischen Land eine ökologische Kollektion mit modischem Anspruch herstellt. Vera Stadie