Hilf- und phantasielos vor der Zukunft

■ Politische Lösungskonzepte können heute nur kleinteilig, soft und sparsam sein. Hamburgs Stadtväter aber handeln wie politische Neandertaler und setzen weiter auf Großprojekte. Außerdem: Auch wenn...

aber handeln wie politische

Neandertaler und setzen weiter auf Großprojekte. Außerdem: Auch wenn vieles an anderer Stelle entschieden wird —

Politikfelder wie Müllprobleme, Energie und Verkehr könnten auch vor Ort erfolgreich angegangen werden.

Ist in Hamburg nicht alles prima? Die Reichen sind so reich wie nie, die Regale der Geschäfte biegen sich unter der Last oft abenteuerlich luxuriöser Konsumgüter und alle Welt schwärmt von der großen neuen Zukunft der Stadt. Die wachsende Zahl der Armen kann auf den Moloch Sozialbehörde zählen und die blauen Sheriffs fegen mit ordentlichem Erfolg das Gesindel aus den Fluren des Hauptbahnhofs. Sogar die Katakomben dort, beliebte Schlupflöcher der Berber und Stricher, wurden aus Gründen der Sozialhygiene zugemauert.

Jedoch: Statt allgemeiner Zufriedenheit breitet sich wachsende Unlust aus. Wirtschaftsboom, abflauende Arbeitslosigkeit und die Gewißheit, in der drohenden Rezession wohl erheblich besser wegzukommen als ganz Restdeutschland, lösen keine Jubelstürme aus. Die Reputation des Rathauses befindet sich nach wie vor im freien Fall, den Volksparteien fehlt das Volk, der FDP die Power, der GAL Unterstützung.

Was haben die Leute eigentlich? Spinnen die Bürger? Sind sie von 43 Jahren D-Mark und Sozialstaat verwöhnte Gierschlunde, die fordern und fordern, nichts abgeben, sich aber auch nicht mehr wirklich einmischen und beteiligen wollen? Ist die wachsende Ausländerfeindlichkeit nicht der grassierenden Politikkritik im Kern furchtbar ähnlich — eine plumpe Lust auf wohlfeile Sündenböcke?

Denn, bitteschön: So wie unsere einheimischen Ausländer die schlechtbezahlte Drecksarbeit machen, unsere Alterspyramide sanieren, mit ihren Beiträgen den Sozialstaat und die Renten der männlichen Rep-Wähler sichern, so hat doch auch die Hamburger Politik ihre Aufgaben gemacht. Und mehr als das. Oder? Die Universität hat jetzt einen Entwicklungsplan, die kranke Stadt hat einen Gesundheitsbericht, es gibt einen Hafenentwicklungsplan und ein Abfallwirtschaftskonzept. Ein Verkehrskonzept ist in Vorbereitung, an allen sozialen Brennpunkten sind sozialdemokratische Löschtrupps fleißig bei der Feuerwehrgrundausbildung. Schließlich wird die schritt- und tröpfchenweise Wiederöffnung der Süderelbe den HamburgerInnen ein ökologisches Wunder von säkularen Ausmaßen bescheren, wie Umweltsenator Fritz Vahrenholt so gerne und oft erzählt. Und dann natürlich die große Selbstreinigung des politischen Apparates: Von selbsternannten Experten und einer konzertierten Medienaktion ließen sie sich die Renten vom Brot nehmen und sind jetzt dabei, Parlament und politisches Gehaltsgefüge völlig neu zu ordnen. Kann man wirklich mehr erwarten?

Nun gibt es mäkelnde ZeitgenossInnen, darunter auch manches vorwitzige Stück Journaille, welche die Auffassung verbreiten, einige drängende Probleme ließen sich tatsächlich vor Ort in Hamburg ernsthaft anpacken. Eine Halbierung der Müllmengen, eine drastische Reduzierung des Autoverkehrs, eine vernünftige kommunale Energieversorgung, zukunftsweisender und billiger Wohnungsbau, so diese Kritikaster, könnten schon längst städtische Wirklichkeit sein. Diese kläffende Meute macht sich dann auch noch mit Vorliebe über die fruchtlose Sisyphos-Arbeit von Behördenkommissionen lustig: Diese Papiertiger würden allenfalls Blatt um Blatt schwärzen, aber nicht die Wirklichkeit verändern.

Manche dieser Schlaumeier lassen sich sogar ungeniert von Wissenschaft und ExpertInnen munitionieren. Da gibt es die sogar professoral untermauerte These, moderne Politik sei nur möglich, wenn sie auf die alten Erfolgsrezepte von

1Wachstum und Wohlstand radikal verzichte. Honoratioren, die besoffen vor Investitionsbegeisterung ein blaues Band nach dem andern zerschnippeln, Festredner beim Beton- Richtfest, so heißt es, seien mega- out. Das kann ein Fels und Mann wie Eugen Wagner in seinem Leben nicht mehr verstehen: Nicht mächtigen vorzeigbaren Großinvestitionen, sondern intelligent verknüpften kleinen Maßnahmen oder gar Unsichtbarem, wie neuen Spielregeln, gehört die Zukunft. Lösungskonzepte müssen heute kleinteilig, soft und sparsam sein, der große Publicity-trächtige Wohlstandshammer dagegen birgt gewaltige Gefahren. Schließlich besteht ein Gutteil unserer heutigen Probleme in den Folgewirkungen großer Investitionen:

Der erste Elbtunnel von 1911 stand für einen Durchbruch der Tunnel- und Elektrotechnik. Er

Die Politik muß auf alte Rezepte verzichten

brachte Hafenarbeiter trocken und sicher zu den Werften. Fortschrittsglaube und Fortschritt in Reinkultur. Der Elbtunnel von 1974 wurde bereits von massivem öffentlichem Protest begleitet. Seine Wirkungen waren nachweislich fatal. Bahrenfeld und der Osten Altonas wurden zerstört, die Verkehrsprobleme in Hamburg und Nordniedersachsen spitzten sich zu. Der öffentliche Nahverkehr verlor hunderttausende Fahrgäste, die Zersiedelung im Süderelberaum nahm dramatisch zu — mit katastrophalen Folgen für Landschaft, Energieverbrauch, Verkehrslawine und Hamburgs Stadtkasse — die

1Stadtflüchtlinge zahlten ihre Steuern in die niedersächsische Landeskasse, die davon wieder die Planung der Elbautobahn A 26 energisch vorantrieb.

Ähnliche Negativketten lassen sich für weitere Großprojekte der Hamburger Investitionsgeschichte aufstellen: Waren Fritz Schumachers Klinker-Wohnsiedlungen trotz ihrer Probleme (Trennung von Wohnen und Arbeiten) noch deutlicher Sozialfortschritt, konnten selbst die Nazi-Siedlungen in Farmsen und anderswo unter dem Strich noch Lebensqualitätsverbesserung beanspruchen, so führten die Untaten der Neuen Heimat bis hin zu den Grüne-Wiese-Siedlungen von heute in Allermöhe und Fischbek in die stadtentwicklungspolitische Sackgasse. Auch die Industrie- und Energiepolitik, vom Atomfetischismus der stadtstaatlichen HEW bis zu den herbeisubventionierten Grundstoffindustrien (Stahl, Alu, Chemie), führte zur nachhaltigen Zerstörung städtischer Substanz.

Immer sind diese Projekte von dem seit der Steinzeit unveränderten politischen Wahn begleitet, große Maßnahmen würden großen Wohlstand bringen und große öffentliche Zustimmung bedeuten. Nie war diese Auffassung so falsch wie heute. Dennoch buchstabiert Stadtchef Henning Voscherau wie ein politischer Neandertaler Erfolg immer noch in den althergebrachten Chiffren: 4. Elbtunnelröhre, Hafenerweiterung, Transrapid, Autobahnring um Hamburg, Großflughafen in Parchim, Bürobauboom im Hafen, riesige Mehrzweckhalle, Musical-Palast, Großforschungsanlage DESY, Airbus-Bau in Finken-

1werder, Bau eines gigantischen Güterverteilzentrums ...

Dabei ist es heute selbst in weiten Kreisen der PlanerInnen und ExpertInnen unbestritten, daß die negativen Folgewirkungen solcher Projekte den Nutzen mehr als aufzufressen pflegen. Wissenschaftler nennen das vornehm die Dominanz „negativer Rückkopplungseffekte“. Die aber bleiben heute auch

Negative Folgen fressen den Nutzen

dem Stimmvieh nicht mehr verborgen. Damit ist die Falle für die traditionelle Politik perfekt: Sie handelt wie ihre Vorväter und kassiert dafür nicht Wahlsiege, sondern Politikverdrossenheit. Kriegsheld George Bush auf der anderen Seite des großen Teiches versteht deshalb die Welt nicht mehr. Dem kleinen Nordlicht Voscherau geht es mit seinen Siegen in den kaufmännischen Boom-Town-Kriegen keinen Deut anders.

Allerdings: Auch die BürgerInnen verhalten sich wie Neandertaler. Angesichts der offenkundigen Unfähigkeit der politischen Kaste, Probleme erfolgreich zu lösen, fallen sie in steinzeitliche Sehnsuchtsmuster zurück: Der starke Führer soll es richten, weg mit den Fremden. Kurz: das gute alte Hau- Drauf-Prinzip. Wie bitter würden sie aber enttäuscht, kämen die ersehnten unverfälschten Politneandertaler à la Le Pen oder Schönhuber an die Macht. Schon die Neandertalderivate Ronald Reagan und Margaret Thatcher haben die politische und wirtschaftliche Landschaft weit schlimmer verwüstet als die normal unfähigen Steinzeitpolitiker

1Kohl und Mitterand. Wobei man Thatcher und Reagan immerhin zugestehen muß, ihr Hauptziel, die Bereicherung der Reichen, konsequent verwirklicht zu haben.

Das hamburgische Versagen einer bieder-braven sozialdemokratischen Filzkaste und die wachsende Sehnsucht der Bevölkerung nach Problemlösung à la starker Mann ergeben eine brisante Mischung: Statt auf den Rat von Grünen, Wissenschaft und ExpertInnen zu hören und sich zu modernisieren, driftet die Politik weiter Richtung rechts und rückwärts. Plötzlich wollen sich betuliche Sozis als effektive Law-and-order-Typen profilieren. Bestes Beispiel ist Björn Engholm, Vorbild auch der Hamburger SPD-Mehrheit von Voscherau bis Hackmann: Attacken aufs Grundgesetz in Sachen Asyl und Wanzen (Lauschangriff) statt kluge Konzepte nach Art seiner schleswig-holsteinischen Denkfabrik. SPD-Fraktionschef Günter Elste glaubt gar allen Ernstes, wenn er nur wortgewaltig genug Hand an das Grundrecht auf Asyl lege, werde dies ihn noch in der laufenden Legislaturperiode in den Senat befördern.

Seltsame Koalitionen tun sich da auf: Wissenschaft, Wirtschaft und Grüne gegen den SPD-Senat. Zu einer tauglichen und wirksamen Koalition wird dies auf absehbare Zeit allerdings nicht führen. Die Grünen nehmen sich selbst kaum noch ernst genug, um an grundlegende Veränderungen zu glauben. Die ständische Einbindung von Wirtschaft und Wissenschaft in althergebrachte Machtkartelle tut ein übriges.

Was aber ist die Alternative?

1Gibt es sie denn wirklich, die modernen sanften und erfolgreichen Problemlösungsstrategien? Sind sie nicht eine Schimäre, der vor allem selbstverliebte Schreibtischkritiker nachhängen?

Gibt es sie denn, die Alternativen?

Für viele Problemfelder gibt es ohne Frage keine einfachen Lösungen, schon gar keine, die der Stadtstaat Hamburg solo in Angriff nehmen könnte: Einwanderungsdruck und Drogen beispielsweise sind lokal nicht zu bewältigen. In anderen Politikfeldern sieht es jedoch ganz anders aus: Müll-, Energie- und Verkehrsprobleme lassen sich, zumal wenn regionalpolitischer Schulterschluß mit Rot-Grün in Hannover und Altrosa in Kiel betrieben würde, sehr erfolgreich vor Ort anpacken. Eine Halbierung der Müllmengen, eine radikale Neuorientierung von Energieverbrauch und Energieerzeugung und der Einstieg in eine zukunftsweisende Verkehrspraxis — all dies ist machbar und finanzierbar. Ja mehr noch, es spart auch öffentliche Ressourcen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Überall dort in Europa, wo die Politik mit modernen und dezentralen Konzepten Erfolge verzeichnet, wuchs auch die Zustimmung unter den Bürgern. Die beste Schutzimpfung gegen den wachsenden Rechtsradikalismus in der Bevölkerung bietet moderne Politik. Politiker aber, die mit der Steinzeitmasche großer Betonprojekte und wohlfeiler Law-and-Order-Sprüche aufwarten, schaufeln sich und dieser Stadtrepublik das eigene Grab. Florian Marten