Studieren für die Visitenkarte

Das Studium wird zur Nebensache, der Whisky macht's  ■ Von Rüdiger Soldt

Die Mischung stimmt. Zur einen Hälfte Gin, zur anderen Tonic. Sev Keil lacht zufrieden. Mit zwei Geschäftspartnern beschließt er einen anstrengenden und teuren Tag in der „Bar am Lützowplatz“: 65 erlesene Whiskys, der kostbarste eine 25 Jahre alte Sherryfaßlagerung, und „Low Alcohol Cocktails“ – in der postmodernen Edelbar steht Zerstreuungswünschen nichts im Wege.

So oder ähnlich müssen sich Yuppies ihr Paradies erträumen. Wer sich hier trifft, kann nicht abwarten, das zu sein, was eine Generation davor nie sein wollte: etabliert. „Mir gefallen schöne Sachen – schöne Kleider, schöne Autos, schöne Frauen“, sagt Sev Keil und nippt an seinem Glas. Seit fünf Semestern studiert der 24jährige Wirtschaftswissenschaften, aber an der Uni ist er kaum öfter als einmal pro Monat. Das Gros seiner Zeit verbringt er damit, als Mitarbeiter der „Creative Campus Company“ Unternehmen zu beraten. „Ich erarbeite eine Lösung im Kopf, und wenn sie verkauft wird, ist das eine sehr große Befriedigung.“ Nicht nur für sein Selbstbewußtsein. Auch finanziell kann sich Sev Keil, der seinen „Bachelor of Arts“ (BA) vor drei Jahren an der Stanford-University gemacht hat, nicht beklagen: „Ich lebe recht angenehm, 3.000 bis 4.000 Mark habe ich schon pro Monat, die ich für Luxus ausgeben kann. Zwischen dem Philosophiestudenten, der in bildungsbesessener Askese Nietzsche liest, und Sev Keil liegen Welten: für ihn ist es das höchste Glücksgefühl, selbstverdientes Geld auszugeben.

In einem 12 Quadratmeter großen Zimmer im Studentenwohnheim zu wohnen und statt Kalbslebersauté nach venezianischer Art Tag für Tag Sojabratlinge in der Mensa zu essen kann sich der studentische Jungmanager im weinroten Sakko nicht mehr vorstellen: „Das wäre ja richtig eklig.“

Nach der 13. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks sind Studenten wie Sev Keil wohl eher die Ausnahme. Aber der Trend, daß immer mehr StudentInnen auch während des Semesters erwerbstätig sind, setzt sich fort. Mehr als die Hälfte aller Studierenden jobben während des Semesters. Und: StudentInnen werden zunehmend älter und durch ihre Erwerbstätigkeit auch wohlhabender. Ein Drittel aller Studierenden ist älter als 26 Jahre. Der durch Teilzeitarbeit beschaffte Anteil zur Finanzierung des Gesamtstudiums wächst von Jahr zu Jahr. Auch wird das verdiente Geld nicht ausschließlich für Lebensmittel und Miete ausgegeben. 20 Prozent ihres Gesamtbudgets geben StudentInnen in den alten Bundesländern für „Sonstiges“ aus. Mit dem höheren Durchschnittsalter sind die materiellen Ansprüche gestiegen. Wissenschaftler, die den Wertewandel der Studentenschaft untersucht haben, sprechen sogar von einer „neuen Unbescheidenheit“.

Gleichaltrigen Freunden, die nicht mehr studieren, möchten Studentinnen und Studenten nicht nachstehen, wenn es um neue Klamotten oder den modernsten CD- Spieler geht. Werbeagenturen und Marketing-Strategen haben den neuen Markt und die jung-dynamische Zielgruppe schon längst entdeckt. Kostenlos verteilte Studentenmagazine sind voll von Werbung, und die „Promotion-Teams“ großer Zigarettenkonzerne nutzen den Campus schon seit Mitte der achtziger Jahre als wirkungsvolles Aktionsfeld.

Frank Markel hat vor seinem Studium eine Ausbildung zum Außenhandelskaufmann gemacht. In den ersten Semestern seines Betriebswirtschaftstudiums fiel es ihm schwer, sich einzuschränken und etwa auf die Flugreise zu verzichten. Jetzt bessert er als studentischer Unternehmensberater sein Budget auf. „Je länger man studiert, je größer werden die Ansprüche; man möchte mehr am Leben teilhaben.“ Zur gestiegenen Konsumfreudigkeit kommt, daß sich StudentInnen, anders als in den siebziger Jahren, an den Hochschulen ihrer Heimatstädte immatrikulieren; der Studienort wird nur noch selten gewechselt. Damit müssen die unwirtlichen Massenuniversitäten ihr Terrain nicht nur gegenüber den Verlockungen der Konsumgesellschaft verteidigen, sondern geraten auch als soziale Lebenswelt zunehmend unter Druck.

Bindungen an Vereine, Sportklubs und Schulfreunde sind bei den Studierenden heute stärker als der Wille, in politischen Hochschulgruppen für Veränderungen zu streiten. Das Studium wird besonders in den alten Bundesländern zur Nebensache. „An der Uni halte ich mich nur auf“, sagt Nikola Lafrenz, Jurastudentin im siebten Semester, „wenn ich muß.“ Drei Tage in der Woche begleitet die 23jährige für das Bundespresseamt Besuchsgruppen in den Reichstag, Restaurants und Ausstellungen. Von dem Geld finanziert die Studentin Motorrad, Wohnung und Urlaub. „Mit 800 Mark könnte ich nur auskommen, wenn ab 10 Uhr kein Herrenbesuch mehr erlaubt wird und es wieder üblich ist, mit dem Fahrrad zur Uni zu kommen.“

Das instrumentelle Verhältnis zum Studium macht die Uni zum reinen Dienstleistungsunternehmen, das für hastig gelerntes Klausurwissen ein Examen anbietet. So hält es auch Mario Stuck mit seinem Vwl-Studium. Außer zu Klausurterminen läßt er sich weder auf dem Campus noch in den Institutsbibliotheken blicken. Seit zwei Jahren betreibt er die eigene Software-Firma „LTS“ und ist zudem noch Geschäftsführer in einem Altenheim.

Zeit, um über David Ricardos Nationalökonomie zu grübeln, bleibt da nicht. Bilanzen zu erstellen ist für Stuck pekuniär lohnender. „Ich studiere, um es auf die Visitenkarte zu schreiben. Für mich ist nur wichtig, viel Geld zu bekommen. Macht interessiert mich nicht.“