New-Age-Klänge und Performancezauber, fernöstlich

■ Zur Halbzeit wenig Neues: Das Festival „Urbane Aboriginale“ im Podewil und anderen Spielstätten

„Bis zur nächsten Welle einer voraussichtlich noch unverbindlicheren japanischen Musik haben Sie, verehrte Hörer, also mindestens noch ein Jahr Zeit.“ So Stockhausen 1966 in seiner Sendung über elektronische Musik aus dem Studio von Radio Tokyo des Westdeutschen Rundfunks. Vom „modischen Monochronismus“ hatte er außerdem gesprochen, einer Welle, die in Europa schon längst wieder am abklingen sei, in Japan aber mit erhöhtem Fleiß imitiert werde.

Die „Freunde guter Musik“ haben nun dieses Jahr ein ganzes japanisches Festival nach Berlin geholt, ein Spektakel, dessen Eröffnungsabend am Freitag im Ballhaus Naunynstraße stattfand. Seit Stockhausens Äußerung ist längst mehr als nur ein Jahr vergangen, und doch schien es so, als hätte der eröffnende Musiker Mamoro Fujieda dies noch nicht bemerkt – übte er sich doch in pseudomystischer Imitation Feldmanscher Monochromie mit Hilfe eines Computersystems, das nicht nur synthetische oder abgespeicherte Klänge zu Gehör brachte, sondern auch, vermutlich per MIDI-Tastatur, einem dilettantisch präparierten Flügel ein paar zusätzliche Klänge entlockte.

Daß Stockhausen selber mit Elektronik anders umzugehen wußte, zeigte das hervorragende junge Klavierduo Rainer Bürck/ Robert Rühle mit der Aufführung von „Mantra“ in der „Unerhörte Musik“-Reihe vorletzten Dienstag im BKA.

Dieses selten zu hörende Stück für zwei Klaviere und Ringmodulatoren verfügt trotz überaus beschränkter Mittel über eine Varianz und Breite der elektronischen Klangwandlungen und -färbungen, der die heutigen Systeme trotz moderner Elektronik kaum zu folgen vermögen.

Die beiden Pianisten interpretierten die über einstündige Komposition überragend, und das, obwohl sie vorher bereits ein vollständiges Konzertprogramm absolviert hatten, das ausschließlich aus Stücken für Klavier/e mit Elektronik bestand. Neben dem blinden musikalischen Verständnis der beiden Pianisten überraschte überdies Robert Rühle in Stephen Montagues „Haiku“ mit einem traumhaft schön singenden Klavierton. „Mantra“ war und blieb aber der Höhepunkt des Abends. Man darf gespannt sein auf ihre bereits angekündigte Interpretation von Boulez' Klassiker „structures pour deux pianos“.

Die zweite Hälfte des Japan-Festival-Abends der „Freunde guter Musik“ aber gehörte dem „Gott der Butoh-Tänzer“ (so zumindest das Programmpapier) Mitsutaka Ishii gemeinsam mit einem Kollegen. Christophe Charles, der Programmorganisator des diesjährigen Festivals, der seit einigen Jahren in Japan lebt, übernahm die klangliche Seite. Obwohl er soeben, wie dem Programmheft zu entnehmen, über japanische Medienkunst dissertiert, hat er von dem Medium Musik allem Anschein nach herzlich wenig Ahnung: Er watet von einem Fettnäpfchen der elektroakustischen Musik ins nächste und fühlt sich an seinem Mischpult, wo er die schwierige Aufgabe übernommen hat, diverse Loops hoch und runter zu puschen und zu kombinieren vermutlich medienkünstlerisch pudelwohl.

Die Tänzer beziehen dazu Stellungen, die den Charme billiger Samurai-Filme ausstrahlen, wenn sie sich nicht gar einem bis in die Mitte der Achtziger in westdeutschen Provinzstädten so beliebten Volkssport hingeben: der Performance. Unsere beiden Tänzer rollen dann prompt in Ballons auf die Bühne, oder verstecken sich schon mal hinter Tüchern.

Ganz in diesem Stil performierte auch Tari Ito in ihrem Solo- Programm „The memory of the Epidermis“ letzten Dienstag im Haus der jungen Talente (jetzt: Podewil). Epidermis heißt bekanntlich soviel wie Außenhaut, und so arbeitet die Künstlerin auch mit vielerlei, was an derartiges zu erinnern vermag. Latex oder Plastikballons werden in alle möglichen Richtungen gedehnt, gezogen und zerrissen, auch schon mal ein mit Kontaktmikrophonen klanglich verstärktes Blech mit dem Kopf reibend in Schwingung versetzt.

Konkrete Bedeutungen bleiben dabei außen vor. Vielmehr wird Werner Haftmanns kunsttheoretische Doktrin der ersten drei documenta-Ausstellungen – Kunst bewege sich historisch vom Reproduktiven zum Evokativen – für die Performance-Kunst reanimiert.

Chie Mukai reanimiert dagegen New-Age-Klänge. Fleißig auf ihrer verstärkten chinesischen Geige modale Tonleitern rauf und runter fiedelnd, die sie zudem eher falsch denn mikrotonal intoniert, läuft sie emotionslos auf der Bühne hin und her. Dafür stimmt sie ihr Instrument immer wieder frisch, erhebt schließlich auch noch ihr völlig unausgebildetes Stimmchen und versinkt restlos im Gestrig-Belanglosesten.

Nach Überraschungen, die bisher eher fehlten, darf an weiteren Abenden dieses locker über zehn Tage gestreuten Festivals geforscht werden: Samstag im Podewil und Sonntag im Ballhaus Naunynstraße gibt's nochmals allerlei musikalisch bunt Vermischtes und Performtes, Montag und Dienstag hingegen „Poly Media Theater“ im Hebbel-Theater. Wo sich das „multi“ werbetechnisch ins „poly“ wandelt, sind denn auch hinterrücks gleich mehrere „Multis“ in Form von Sponsoren eingesprungen: nicht nur Lufthansa und Toyota zückten das Scheckheft; auch sechs Berliner Kulturinstitutionen taten selbiges. Wenn es den Künsten dient... Fred Freytag

„Urbane Aboiginale“: heute im Podewil um 20 Uhr Installation und Performance mit Goji Hamada, Seiji Shimoda und Keiji Haino; am Sonntag um 17 Uhr Klang- und Tanzperformance von Akio Suzuki und Junko Wada und um 20 Uhr „Noice Performance“ mit Motoharu Yoshizawa, Merzbow, Masami Akita, Reiko Azuma und Tetsuo Sakaibara im Ballhaus Naunynstraße; am Montag der Abschluß mit „Toki Doki Jidou“ (Poly-Media-Theater) um 20 Uhr im Hebbel-Theater.