Village Voice
: Zumindest ein Komma

■ Fast Pop, aber doch nicht so ganz: Weltmusik von Kurgan

So ist das: „Alle Macht geht vom Volk aus“ — zumindest wenn es nach dem Credo der Weltmusik geht. Vom Volk mit „X“ wohlweislich unterschieden, versuchen sich Kurgan in den Fußstapfen der „Roots“ auf den Pfaden des Pop. Ein gewagter Spagat, könnte man mutmaßen. Denn kaum hat Weltmusik eine über Plenumsbeschallung hinausragende Rolle im westlichen Kulturverständnis erlangt, macht sich scheinbar federleicht der Mainstream seine Nische im vormaligen Biotop zurecht.

Die Gruppe Kurgan besteht aus vier studierten Musikern. Necati Seren, der Kopf der Band, hat sein Diplom in Musikwissenschaft und Psychologie erworben. Gegen das Studium der Psychologie ist im Grunde nichts einzuwenden, aber was bedeutet es für die sogenannte Basiskultur, wenn man dafür Hindemiths kleine Notenbibel auswendig lernen muß? Die Verkomplizierung von teilweise einfachen Tänzen und traditioneller Melodieführung. Das ist es dann auch, was beim Hören von „Ask“ (sprich: aschk) am stärksten auffällt. Stücke wie „Gelin Halaya“ fächern die Melodieführung in nahezu epischer Breite auf, ohne dabei die Faustregel des Pop einzuhalten, die besagt, daß auf 3:30 min. mindestens ein verbindliches Thema wiederkehren soll, weil sonst der Wiedererkennungseffekt ausbleibt.

Nun mag es sein, daß die der Musik von Kurgan zugrunde liegende türkische Folklore sich das Vergnügen des Ausuferns nicht nehmen lassen will. Dann aber müßte das rhythmische Geflecht wenigstens ein wenig bremsend in den stream of conscience eingreifen, durch Breaks oder Fills hier und da einige Punkte, Gedankenstriche, Fragezeichen setzen. Zumindest ein Komma. Doch bei Kurgan kreist alles ununterbrochen, so daß man beim dritten Lied schon den Faden verloren hat.

Seltsamerweise bekommt die LP aber durch ein ungewöhnliches Crossover von brasilianischen und türkischen Standards den Bogen, mit dem der Funke dann überspringt. In „Dona Luna“ und „Sonbahar Görüntüsü“ treibt Necati ein leichtes Spiel mit der samtweichen Sambaführung und croont sich zu ungeahnten Höhenflügen in Sachen Schmusepop, seine Stimmlage erinnert dabei an die sanfte Melancholie in den Blue-Note- Preziosen einer Tracy Thorn von Everything But The Girl. Diese zarte Leidenschaftlichkeit macht auch die Spannkraft solcher Stücke wie „Düsünüyorum“ aus. Dort bricht der Sänger den nervös flirrenden Rhythmus des türkischen Liedguts, um sich scheinbar gleich in mehreren Figuren auszuleben: orientalische Popdramolette.

Auch wenn die Professionalität mitunter über das Ziel hinausschießt und in Tanzorchesterroutine umkippt, sind (wenn auch schwer eingängige) Hits dabei. „Dayanamadim“ beispielsweise könnte ähnliche Erfolgschancen haben wie der diesjährige Weltmusikhit „Didi“ von Cheb Khaled. Vielleicht sollten Kurgan ihre Kontakte zur Volksbasis ganz einfach ein wenig lockerer knüpfen; im Pop hat das eigentlich immer so funktioniert. Harald Fricke

Kurgan: Ask (EWM — Ethnic World Music)