Die Irrfahrt des „Geistkämpfers“

Eine Barlach-Skulptur, die in Berlin kein Asyl findet  ■ Von Nathalie Wozniak

Es war Nacht an der Ostseeküste, als ein lesender Knabe in einen Kutter verladen wurde. Zusammen mit einer flüchtenden Jüdin und einem lebenshungrigen Schiffsjungen gelangte Barlachs „Klosterschüler“ nach Schweden. Ein Pfarrer hatte für die Rettung der Figur sein Leben geopfert. So erzählt es zumindest Alfred Andersch in einem seiner Romane.

Von den Nationalsozialisten waren Barlachs Skulpturen als „entartete Kunst“ eingestuft worden. Ab 1939 wurden sie konfisziert und dann zerstört oder ins Ausland verkauft. Doch nicht nur bei Andersch, auch in Wirklichkeit fanden sich rettende Hände. Hugo Körtzinge gelang es 1939, Barlachs „Geistkämpfer“ zu bergen. Für 1.300 Dollar kaufte er die 4,80 Meter hohe Bronzeskulptur, um sie dann vor den Nationalsozialisten zu verstecken. Heute steht die Plastik wieder in Kiel, wenn auch vor einer anderen Kirche.

Doch seit mehr als zwei Jahren irrt nun schon ein Zweitabguß durch Berlin, und kein Retter will sich finden. Eine Heimat auf dem Berliner Bebelplatz verweigerte ihm bisher die Bauverwaltung, und auf ein anderes Plätzchen konnten sich die Parteienvertreter im Kulturausschuß nicht einigen. Der zweite Engel bleibt also vorerst im Magazin, auch wenn er noch so beherrscht auf dem Rücken eines Fabeltieres thront und in seinen Händen das Schwert senkrecht gen Himmel führt. Die Erhabenheit siegt über das Leiden, der Geist siegt über die Macht. Ausgeliefert scheint der „Geistkämpfer“ einzig den kulturpolitischen Entscheidungen in Berlin.

Neben Bertolt Brecht und Käthe Kollwitz hatte der DDR- Staat auch Ernst Barlach für seine Ideologie adaptiert. Nicht einmal ein „Geistkämpfer“ machte den Chefideologen Probleme. 1987/88 lief der Vorschlag eines Zweitabgusses durch alle Instanzen bis zu Erich Honecker, der den Plan absegnete. Die Barlach-Figur sollte ihren Platz auf dem Bebelplatz finden. Doch aus finanziellen Gründen scheiterte der Ankauf. Gleich nach dem Mauerfall wurde ein zweiter Versuch unternommen, und dieses Mal kam der Handel zustande. 1,5 Millionen Ostmark zahlte der Magistrat an die Erbengemeinschaft.

„Kulturbolschewist“ hieß eines der Schlagworte, mit denen Barlach im Dritten Reich diffamiert wurde. Beinahe möchte man glauben, das Wort gelte auch heute wieder. In dem Sitzungspapier des Kulturausschusses vom 25. September ist zumindest zu lesen, man wolle die Vorgehensweise des DDR-Staates nicht übernehmen, sich Barlach als antifaschistischen Künstler anzueignen. Spielt der Makel „Kulturbolschewist“ also doch eine Rolle? Immerhin ist die Figur schon seit langem gegossen und bezahlt. Dennoch weiß die Stadt Berlin nicht wohin mit dem „Geistkämpfer“. Der letzte Vorschlag lautete, die Bronze-Figur in ein Museum zu verfrachten.

Bei dem ständigen Gezerre um die Plastik fragt man sich dann doch, wie die kulturpolitischen Entscheidungsträger es mit dem Antifaschisten Barlach halten. Auch die CDU ist halbherzig, wenn sie dem „Geistkämpfer“ kompromißhalber eine Probezeit auf dem Bebelplatz einräumen will (nach einem Jahr soll dann die Öffentlichkeit entscheiden). SPD und Grüne geben sich da schon entschiedener: kein Barlach vor der Oper. Statt dessen fordern sie die Ausschreibung eines Wettbewerbs. Ein völlig neues Kunstwerk soll auf dem Bebelplatz an die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 erinnern.

Zu der ablehnenden Haltung der Bauverwaltung erklärte Rolf Schneider, Mitarbeiter der Abteilung Kunst am Bau, gegenüber der taz, Barlach habe die Skulptur für den Nischenraum einer Kirchenwand entworfen. Bei einer Aufstellung der Figur in der Mitte des Bebelplatzes würde man deshalb ihrem künstlerischen Ausdruck nicht gerecht. Weiter beruft sich Schneider auf Barlach selbst, der Ende der zwanziger Jahre einen Zweitabguß für die Stadt Bielefeld abgelehnt hatte. Zum dritten: Es sei falsch, dem „Geistkämpfer“, der 1928 entstand, eine antifaschistische Bedeutung überzustülpen. Der Bebelplatz brauche ein Mahnmal, das die Bücherverbrennung ausdrücklich zum Thema macht.

Wie aber kann ein neu zu schaffendes Kunstwerk mehr zu tun haben mit der Vernichtung von Kultur und individuellem Ausdruck als Barlachs „Geistkämpfer“, durch seine Geschichte ein Symbol für die Verfolgten des Faschismus? Ist das so schwer zu verstehen, daß die Bauverwaltung ein neues Mahnmal für nötig hält, eines, das auch inhaltlich auf die Bücherverbrennung eingeht? Was heißt überhaupt inhaltlich? Die Abbildung brennender Bücherberge?

„Auf jeden Fall werde ich kein ruhendes, sondern ein kämpfendes Alter haben, und bin weit entfernt, darüber Wehgeschrei zu erheben“, schrieb Barlach 1929/30. Prophetische Worte. Wenn auch Berlin den „Geistkämpfer“ zur Zeit nicht zu brauchen scheint, vielleicht findet sich dann wenigstens eine rettende Seele, die den „Kämpfer“ für bessere Zeiten aufhebt.