Die Landkarte von '36 vorm Kopf

■ Reiselektüre zu Masuren als Schlachtfeld für kruden Revanchismus/ „Die Masuren fühlen sich als Deutsche – besonders wenn ein Pole sie danach fragt!“

Zugegeben, es mag manchen Fans des Reiseteils ungehörig erscheinen, hier wertvolle Zeilen zu vergeuden, nur um einen Band vorzustellen, der von den Regalen getilgt gehörte. Aber ich bin nun mal wütend. Und die Wut speist sich sicherlich zusätzlich aus dem, was neuerdings in diesem neuen Deutschland wieder hoffähig ist.

„Ostpreußen liegt heute in Polen, so wie eben das Elsaß in Frankreich und Südtirol in Italien liegt. Damit werden wir leben müssen.“ Aber Etikettenschwindel sei das allemal, erteilt uns Michael Welder in seinem Fotoband „Masuren, Entdeckungsreise in Bildern“ Nachhilfe in deutscher Geschichte. Denn „die Masuren fühlen sich als Deutsche. Besonders, wenn ein Pole sie danach fragt“.

„Seht, was die Polen daraus gemacht haben“

Nach der Devise „Deutsche, entdeckt eure alte Heimat – und seht, was die Polen daraus gemacht haben“ macht sich ein berufsmäßiger Vertriebener daran, mit mittelmäßigen Nostalgie-Knipsereien auf dem Niveau eines deutschen Familienalbums der Asyl-Gemeinde aus der „Kalten Heimat“ zu zeigen, daß es noch Aufrechte gibt, die die „Polonisierung der Geschichte“ nicht hinnehmen wollen.

Als hätte es nie zwei von Deutschland entfachte Weltkriege gegeben, in deren Folge Millionen von Polen und Russen umgekommen sind, polemisiert Welder gegen deutsche wie polnische Publizisten gleichermaßen, die seiner Ansicht nach das einzigartig Deutsche an der geographischen und kulturellen Entität Masuren unberechtigterweise in Zweifel ziehen.

Ungebrochen revanchistisches Gedankengut verletzt hier auf fünf Hochglanzseiten Einführung zum Thema unsere Netzhaut – über Masuren, den Gegenstand von Welders Entdeckungsreise in Bildern, erfahren wir so gut wie nichts.

„Die polnischen Kinder sind unschuldig“

Nun gibt es, das sei eingeräumt, keinerlei Veranlassung, der wissentlichen Geschichtsverfälschung polnischer Parteiideologen unhinterfragt zu folgen; sie haben geradezu neurotisch die vielhundertjährige deutsche Präsenz in Ostpreußen totgeschrieben. Einer aber, der von Versöhnung durch Begegnung redet, jedoch gleichzeitig feststellt, daß „junge Deutsche östlich der Oder dünn gesät“ seien, oder der eines seiner Fotos mit der Unterschrift versieht: „Eine Deutsche auf Besuch (in Dönhoffstaedt), die polnischen Kinder sind unschuldig, die Zeit heilt die Wunden“, trägt nicht unbedingt dazu bei, daß künftige Generationen die polnische Westgrenze als selbstverständlich anerkennen. So ist es nur konsequent: Welder hat seinem Band eine Landkarte aus dem Jahre 1936 beigefügt – daß die Ortsnamen ausnahmslos deutsch geschrieben sind, muß wohl kaum noch erwähnt werden.

Auf diesen Schund, nur ein weiteres Elaborat in einer ganzen Reihe von „Heimatklängen“ aus dem Rautenberg Verlag in Leer, können wir getrost verzichten. Wer statt dessen aufmerksam die Erzählungen von Arno Surminski liest, braucht keine Fotobände, um das frühere und das heutige Masuren kennenzulernen. Dem Reisenden sei – trotz schlechter Fotos – das in diesem Jahr erschienene und den heutigen Gegebenheiten verpflichtete Reisehandbuch von Reiner Elwers: „Masurische Seen“ aus dem Berliner Trescher Verlag empfohlen – nicht nur der praktischen Tips wegen. Henk Raijer