■ Das Portrait: József Antall
Auf den ersten Blick könnte der ungarische Ministerpräsident József Antall als einzig erfolgreicher osteuropäischer Staatsmann gelten. Drei Jahre nach dem Umbruch ist Ungarn in der Region eine „Insel der Stabilität“ und wird von der westlichen Finanzgemeinde als Erfolgsmodell gepriesen. Aber das kann man nur bedingt Antalls Verdienst nennen.
Antall und die von ihm zusammengehaltene Regierungspartei Ungarisches Demokratisches Forum (MDF) sind von der Dynamik der begonnenen Transformation eher getrieben worden, als daß sie sie vorangetrieben hätten. Das verzweifelte Bemühen Antalls, den Zwang zur europäischen Integration mit einer Renaissance des ländlich-nationalen Ungarntums zu verknüpfen, hat ihn, den zögerlichen Zentristen, gelähmt und der Regierung den Ruf eingetragen, sich kleinlichen Streitereien hinzugeben, anstatt sich den Geschicken der Landes zu widmen. Symbolisch ist, daß der schwer krebskranke Antall über sein Leiden eine fast vollständige Informationssperre verhängt hat.
Der ungarische Ministerpräsident ist in gewissem Sinne eine tragische Figur. Er versucht in seiner Person eine Nation zu verkörpern, die ihre Identität seit dem Vertrag von Trianon (der Ungarn 1920 zwei Drittel seines Territoriums nahm) verloren wähnt, in autoritären und totalitären Regimen nicht wiedergefunden hat und noch immer vergeblich sucht. Der Vater des 1932 geborenen Antall, war führendes Mitglied der konservativ-nationalen Kleinlandwirtepartei und mußte 1947 der Macht der Kommunisten weichen. Antall selbst verlor nach der Revolution 1956 seine Arbeit, zog sich politisch zurück und fand später eine Anstellung als Historiker.
Foto Nr. 17
Antalls politisch-persönliche Tragik birgt eine gewisse lächerliche Komponente. Bei dem Versuch, seiner Paralyse zu entkommen, blamiert ihn die Stärke, die er zu zeigen sucht. Auf Rednertribünen wirkt Antall paternalistisch. Er entließ Dutzende unliebsamer Funktionsträger und überwarf sich im „Medienkrieg“ um die Absetzung der Rundfunk- und Fernsehintendanten auf unsouveräne Weise mit dem hochangesehenen Staatspräsidenten Arpád Göncz. Beim Konflikt um das Wasserkraftwerk Gabcikovo droht Antall nun, Ungarns innenpolitische Konflikte zu internationalisieren. Keno Verseck
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