„Wir sind doch beide Asiaten“

■ Japans Kaiser Akihito traf gestern in Peking ein/ Über das japanisch-chinesische Verhältnis sprach die taz mit dem Tokioter Politiker Shinja Totsuka

Tokio (taz) — Der japanische Kaiser Akihito hat vor dem gestrigen Staatsbankett mit dem chinesischen Präsidenten Yang Shangkun in Peking seine „tiefe Trauer“ über die kriegerische Vergangenheit zwischen Japan und China ausgedrückt. Doch wie erwartet verzichtete Akihito auf eine ausdrückliche Entschuldigung für die japanischen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs in China. „Es gab eine unglückliche Zeit zwischen den beiden Ländern, in der Japan dem chinesischen Volk große Leiden zugefügt hat. Dafür empfinde ich eine tiefe Trauer“, sagte er. Zuvor hatte der chinesische Präsident Yang Shangkun mit fast gleichlautenden Worten auf den Krieg zurückgeblickt, dem aber hinzugefügt, daß es „zum Guten beider Länder sei“, wenn die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerate.

Der halbstaatliche japanische Fernsehsender NHK interpretierte die Worte des Kaisers als die „bisher weitgehendste und deutlichste Stellungnahme des Tennos gegenüber China“. Tenno Akihito, der als erster japanischer Kaiser China besucht, traf am Freitag nachmittag mit seiner Frau Michiko und Außenminister Michio Watanabe in Peking ein.

Nicht nur in China, sondern auch in Japan, ist die kaiserliche Reise auf laute Proteste gestoßen, selbst innerhalb der regierenden Liberaldemokraten. Über die Hintergründe sprach die taz mit dem 52jährigen Shinja Totsuka. Er ist Abgeordneter im japanischen Unterhaus und der bedeutendste China-Experte in der LDP, die Japan seit 1955 führt.

taz: Stehen die Japaner nicht hinter ihrem Tenno?

Shinja Totsuka:Tatsächlich stehen sie nicht einstimmig hinter seiner China-Reise. Doch hätte der Tenno den Besuch abgesagt, wären die Chinesen unzufrieden gewesen. Die Chinesen haben uns Japanern viel zu sagen: Die Vergangenheitsbewältigung bleibt ein Thema. Auch die Beteiligung japanischer Blauhelme an der UN-Mission in Kambodscha muß mit China abgesprochen werden.

Gegen den Besuch haben einige protestiert, weil sie es für erniedrigend hielten, abermals von China aufgefordert zu werden, sich wegen der Geschichte zu entschuldigen. Andere meinten, so weit dürfe das Kokettieren mit einem kommunistischen Staat nicht gehen. Außerdem befürchtete man, daß China womöglich nicht in der Lage sei, den Besuch ohne Zwischenfall durchzuführen.

Im Friedensvertrag von 1978 hat Japan sein Bedauern über die Vergangenheit ausgedrückt, woraufhin China alle Entschädigungsforderungen aufgab. Denken die Japaner deshalb, über die Vergangenheit müsse man nicht mehr miteinander reden?

Ich habe kürzlich mit dem südkoreanischen Oppositionsführer Kim Dae Jung gesprochen. Der versuchte mir zu erklären, warum Deutschland seiner Meinung nach ein Vorbild für Japan sei. Deutschland, so Kim, habe auch Opfer individuell hinreichend entschädigt und sei weiterhin bemüht, Kriegsverbrecher zu stellen, was für Japan überhaupt nicht zutreffe. Ich stimme Kim nur teilweise zu. Gegenüber China und Korea hat Japan immerhin eine Grundbereitschaft zur Vergangenheitsbewältigung kundgetan. Andererseits sind die Wunden des Krieges für viele Menschen in diesen Ländern noch nicht geheilt. Wir Japaner sollten deswegen überlegen, was man gegenüber China und Korea heute noch machen kann.

In den Programmen ihrer Partei war aber von Vergangenheitsbewältigung nie die Rede...

Es ist ja auch wichtig, daß man mit China nicht nur über die Vergangenheit redet, sondern vielmehr darüber, wie man gemeinsam die chinesische Reformpolitik unterstützen kann. Das Beste, was Japan tun kann, ist China wirtschaftlich zu helfen, damit der Lebensstandard der Chinesen steigt. Außerdem müssen wir den Kulturaustausch fördern. Ich habe in diesem Sommer in China ein Konzert organisiert, bei dem 350 Japaner und 250 Chinesen gemeinsam die 9. Sinfonie von Beethoven gesungen haben. Das fand dort große Resonanz.

Können Sie sich vorstellen, daß China eines Tages Japan wirtschaftlich überholen wird?

Vielleicht in dreißig Jahren. Die Wirtschaft in China wächst im Augenblick mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man fast glaubt, es ginge zu schnell. Für die Modernisierung werden langfristige und billige Kredite benötigt. Sie zur Verfügung zu stellen, ist die Aufgabe Japans. Denn die Chinesen zahlen das Geld immer zurück. Man kann sich auf sie verlassen.

Sind sich Japaner und Chinesen im wirtschaftlichen Denken einig?

In China denkt man langfristiger. Wenn ein Japaner sagt, er werde überlegen, meint er eine Zeitspanne von sechs bis zwölf Monaten. Ein Chinese würde dagegen eine Zeitspanne von zehn bis zwanzig Jahren betrachten. Es ist eine Fehleinschätzung der Japaner, wenn sie meinen, sie könnten mit dem Geschäft in China schon in drei bis fünf Jahren Profite machen. Erst die Generation ihrer Kinder und Enkelkinder wird sagen können, daß es gut war, in China zu investieren.

Generationen von Japanern und Chinesen haben in diesem Jahrhundert gegeneinander Krieg geführt. Kann es überhaupt noch Verständnis füreinander geben?

Der Tenno-Besuch wird die Beziehung zwischen China und Japan auf jeden Fall positiv beeinflussen. Außerdem haben wir ja auch Gemeinsamkeiten: Vom Äußeren her sind Chinesen und Japaner nicht zu unterscheiden. Witz und Humor sind in beiden Völkern ähnlich. Auch die Tradition, kinderfreundlich zu sein und unsere Vorfahren zu respektieren, haben wir gemeinsam. Wir sind doch beide Asiaten. Interview: Chikako Yamamoto und Georg Blume