Ein glänzender Verlierer

■ Horst Stern, der Lehrmeister in Sachen Natur, wird heute 70 Jahre alt

Es soll Menschen geben, die sich aus Verzweiflung über diese Welt eine Kugel in den Kopf schießen. Andere schreiben Romane und ziehen sich auf einsame Inseln zurück. Zu den letzteren gehört Horst Stern, Journalist, Schriftsteller, Tierfilmer, Umweltkämpfer und Moralist, der heute 70 Jahre alt wird. Der Rückzug in die Literatur habe ihm das Leben gerettet, sagt Stern.

In den 70er Jahren wurde er berühmt. Mit Reibeisenstimme und gefurchter Stirn trat er vor die Fernsehkamera, berichtete über Schweine und Hühner, Hirsche und Gemsen, Spinnen und Schmetterlinge. Sterns Stunden wurden zu Sternstunden für das Fernsehen. Einschaltquoten explodierten, die Post kam waschkörbeweise, die Jägerschaft lief Amok, Zuschauer fielen in Weinkrämpfe. Bis heute gehören seine „Bemerkungen“ über unsere Haus- und Wildtiere zum Besten, was im Fernsehen über Tiere gezeigt wurde.

Dabei war Stern, als er 1970 seinen ersten Film über das Pferd drehte, alles andere als ein Fernsehprofi. Der gelernte Bankkaufmann hatte nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Gefangenschaft und einem kurzen Intermezzo als Dolmetscher der US- Armee vorwiegend für Printmedien gearbeitet. Er begann 1947 als Gerichtsreporter bei den „Stuttgarter Nachrichten“, für die er in den 50er Jahren hinreißende Tiergeschichten schrieb. Dann folgten mehr als 50 Stücke für den Schulfunk, bevor er sich schließlich überreden ließ, doch mal „ein, zwei Tiersendungen“ für das Fernsehen zu drehen.

Als klassische Tiersendungen sind seine 26 TV-Filme allerdings kaum zu bezeichnen. Verspielte Löwenkinder oder balgende Jungfüchse waren seine Sache nicht. Und das Kopulationsverhalten des Nilpferdes war ihm so fern wie der Todesbiß der Raubkatze in kunstvoll herbeigezoomte Antilopen- Rücken. Stern hatte keine zoologischen Kuriosa im Sinn. Er wollte den Menschen, jenes „luxurierende, biologisch unangepaßte Wesen“, mit dem Tier konfrontieren. Er wollte zeigen, wie er die Schweine zur Sau macht, wie er Wildtiere mit Keksen vollstopft und sie zur Massenexhibition ins Schaugatter zwingt.

Seine Botschaft war einfach: Ein Huhn ist ein Lauftier und gehört nicht in den Käfig. Ein Rind ist ein Weidengänger und gehört nicht auf einen Spaltenboden. Ein Pferd gehört nicht über Dreifach- Kombinationen gescheucht. Bis heute zeigen diese Sendungen Wirkung. Es waren ökologische Grundkurse, die noch immer in unseren Köpfen herumspuken. Heute weiß jedes Kind, daß die industrielle Massentierhaltung pervers ist. Dies als Erfolg auch seiner Arbeit gelten zu lassen, fällt Horst Stern immer noch schwer. Er sieht vor allem die Mißerfolge, den unerträglichen Status quo, die „ermüdete Wahrheit“, die so oft schon ausgesprochen wurde, daß keiner mehr hinhört.

Nach seinem abrupten Fernsehabschied gründete Horst Stern im Jahre 1980 das Umweltmagazin Natur, das er fünf Jahre lang mit großem Erfolg leitete. Doch am Ende verstrickte er sich, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, in die Widersprüche eines „hochglanzpolierten, werbefinanzierten, nach Auflage gierenden Blattes“. Stern befreite sich aus diesem Widerspruch und ging. Sein Blatt erreichte nie wieder das Format der frühen Jahre. Mit seinem Rückzug als Natur-Herausgeber verließ Horst Stern den „Bettelorden der Naturschützer“ – er zog sich zurück, schrieb seinen Roman „Mann aus Apulien“ und die „Jagdnovelle“. Ein weiterer Roman soll derzeit in seinem ländlichen Domizil auf der irischen Insel entstehen.

Viele seiner Mitstreiter waren damals verzeifelt, daß einer ihrer Besten kapitulierte und „einen Roman über einen alten Kaiser schrieb, wo es doch an allen Umweltfronten brannte“, so Hubert Weinzierl, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Weinzierls Gram ist inzwischen verraucht, doch das Bedauern vieler Freunde über die selbstgewählte literarische Einsiedelei Sterns ist geblieben. An seinem 70. Geburtstag werden sie ihn vermissen: den glänzenden Mitver lierer so vieler Kämpfe um Flug häfen Atomkraftwerke, Flüsse, Moore, Auwälder, Watten und Seen.

Man solle ihn doch einfach in Ruhe lassen, soll Horst Stern grantlig diejenigen zurechtgewiesen haben, die ihn in den letzten Jahren durch die Talkshows schleusen wollten. Eine verständliche Reaktion – und doch bleibt der Rückzug Sterns in seiner Radikalität schmerzlich.

Vielleicht und hoffentlich wird ihm die selbstgewählte Einsiedelei auf Dauer ja ein wenig langweilig, und er schießt wieder öfter ein paar vergiftete Pfeile auf den Kontinent. Dort gibt es noch viele Kämpfe zu verlieren – und manchmal auch einen zu gewinnen.

Manfred Kriener