■ Ökolumne
: Bambi muß warten Von Bernd Ulrich

„Der Natur zuliebe“, so lautet der grüne Schlachtruf im Getümmel der Konsumenten. Er prangt mittlerweile auf wiederverwertbaren Plastiktüten und grauen Taschentüchern aus Altpapier, auf Leinentaschen und Spendenbüchsen. „Tu es mir zuliebe“, ist der letzte Versuch, wenn jemand mit guten Argumenten schon nicht überzeugt werden kann. Eine Bitte, so inständig, daß sie fast wie Betteln aussieht.

Der Slogan „Der Natur zuliebe“ hat das Argumentieren also schon aufgegeben. Sonst müßte er heißen: „Dir selbst zuliebe“. Er rückt die Natur in die Rolle der Bittstellerin und macht umweltbewußtes Kaufverhalten zu einer großzügigen Geste gegenüber der Schöpfung. Der Kaufakt wird als Gnadenakt schon vorausgesetzt, wo der Markenname eines Recycling-Klopapiers „Danke“ heißt. Mutter Natur als quengelndes Kind. „Geh schön zum König Kunde und bedank Dich ordentlich, daß er Dir nicht noch mehr Bäume abholzt und Chlorbleiche in die Gewässer spritzt.“

Die Natur kann nicht selbst sprechen, also auch nicht „Danke“ sagen. Es sind statt dessen die engagierten Umweltschützer, die mit dem Slogan flehen und sich nach dem Kauf- und Gnadenakt bedanken. Nachdem sie zwei Jahrzehnte lang gewarnt, gedroht und moralisiert hatten, wurden sie etwa Mitte der achtziger Jahre artig. Sie fingen an, nicht mehr den Umweltsünder in der Konsumentin und im Konsumenten anzusprechen, sondern den Souverän. Positiv denken! Ermutigen, nicht erschrecken! Ein erfolgreiches Konzept. Immer mehr Käufer erhörten das Flehen: zumal ein genauerer Blick auf die Packungsbeilagen ergab, daß mit verminderter Qualität weder für Gaumen noch Hinterteil zu rechnen sei. Nur teurer war die Ware halt. Aber man hatte ja Geld.

Die Zeiten in Deutschland werden härter, die Menschen auch. Keine gute Stimmung für Gnade und Barmherzigkeit. König Kunde wird knauseriger. Ist er noch bereit, ein paar Groschen mehr für „Cycling Comfort“ auszugeben, so weigert er sich doch zunehmend, Giftküchen im Osten der Republik zu schließen, sich die Mineralölsteuer erhöhen zu lassen, mehr Miete für die Wärmedämmung zu investieren oder gar auf die ein oder andere Flugreise zu verzichten. Jetzt muß Bambi warten; wir haben Wichtigeres zu tun. Denn seit es mit dem wachsenden Wohlstand nicht mehr so läuft, können wir die Natur nicht länger aus der Portokasse subventionieren. Heute stößt sich die grüne Barmherzigkeit heftig mit dem in 45 Jahren hart erarbeiteten — respektive durch Leben in einer Plaste- und Elaste-Diktatur erlittenen — Menschenrecht auf wachsenden Konsum. Und das schließt das Recht auf wachsende Naturzerstörung — leider, leider — ein.

Tief hatten sich die Stellvertreter der Natur heruntergebückt, hatten Bitte gesagt und Danke, hatten versprochen, weder Wohlstand und noch Wohlbefinden seien in Gefahr. Jetzt kommen sie nicht wieder hoch. Derweil werden die Verteidiger des Menschenrechts auf wachsenden Konsum immer aufrichtiger, immer deutlicher, immer selbstbewußter. Sie haben das schlechte Gewissen abgelegt, das ihnen der immense Wohlstand noch bis 1988 machte. Denn seitdem wird es knapper. Sogleich spricht man von „Not“, in der man sei. Wenn es so weitergeht, fallen wir im Wohlstandsniveau zurück bis auf das Jahr 1985, oder gar 1980. Wer erinnert sich heute noch an das Elend, in dem wir da lebten? Da sei Gott vor, der uns die Gnadenakte gegenüber der Natur sicher für ein paar Jahrfünfte stunden wird.

Wir wollen ja auch leben. „Faszination der Tropen auf dem Weg nach Fernost, Australien und Neeseeland“, bieten uns seit neuestem die „Malaysia Airlines“. Unter dem Titel „Malaysia Stopover“ kann man für nur 45 Mark mal eben im Vorüberfliegen die malaysische Halbinsel mitnehmen (inclusive Stopover- Flug innerhalb Malaysias, Übernachtung und Frühstück). Zu Hause gibt's neuerdings wieder „Design für die Überholspur“ von Mazda. „Wir haben an Sie gedacht, an den sportlichen Fahrer. Fair, aber durchaus bereit, dem Verkehr davonzuziehen.“ Die Werbung sagt bekanntlich immer die Wahrheit — über die Konsumenten. Derzeit steht „Der Natur zuliebe“ gegen „Design für die Überholspur“, Bambi gegen den schwarzen Panther. Guten Appetit!

König Kunde hat Sorgen. Wie soll der Naturschützer heute zu ihm sprechen? Kann man noch zurück zum Eigenrecht der Natur? Kann man ihm mit bösen Unworten aus vergangenen Zeiten kommen: Demut, gar? Respekt, vielleicht? Besonnenheit, wenigstens? Bescheidenheit, etwa?

Bescheidenheit ist nach Friedrich Nietzsche „die Erkenntnis, daß wir nicht unsere eigenen Werke sind.“ Die Natur ist noch viel weniger unser Werk. Nur ihre Zerstörung liegt in unserem Vermögen.

Bernd Ulich lebt als freier Autor in Köln