Vertragsbruch oder Konkurs

Immer mehr Investoren wollen offenbar mit der Treuhand nachverhandeln und Arbeitsplatzgarantien kippen/ Großbetriebe dementieren  ■ Von Donata Riedel

Detlev Rohwedder, der ermordete Vorgänger von Treuhandpräsidentin Birgit Breuel, wird in der Berliner Privatisierungsbehörde noch immer gerne zitiert. „Wenn die Konjunktur einbricht, dann gnade uns Gott“, ist eines dieser geflügelten Worte. Nun ist die Konjunktur eingebrochen, Gott hält sich raus – und Rohwedders Nachfolgerin hat ein Riesenproblem: Nicht nur mit den Ostbetrieben, die noch nicht privatisiert sind, sondern neuerdings auch wieder mit jenen, für die schon lange neue Eigentümer die Verantwortung tragen sollten. Seit die GUS- Märkte völlig zusammengebrochen sind, versuchen offenbar immer mehr Investoren, die von ihnen vertraglich festgelegten Arbeitsplatzzusagen nach unten zu korrigieren.

In der Regel würde das die Neueigentümer teuer zu stehen kommen: Bis zu 180.000 Mark pro nicht eingehaltener Arbeitsplatzgarantie kann die Treuhandanstalt als Vertragsstrafe kassieren. Bei Mittelständlern oder Managern, die ihren Betrieb übernommen haben, zeigt sich die Treuhand allerdings im Zweifel kulant. „Niemand hätte etwas davon, wenn so ein Betrieb gleich konkursreif wäre“, so Treuhand-Pressesprecher Franz Wauschkuhn. Das Problem ist immerhin so ernst, daß in den sechs Treuhanddirektoraten inzwischen sogar an einer Richtlinie gearbeitet wird.

Bei Großkonzernen allerdings will die Treuhand „beinhart“ bleiben. Nach einem Bericht der Wirtschaftswoche haben angeblich mehrere Großkonzerne nachverhandeln wollen, weil sich die Geschäftsaussichten in den neuen Bundesländern in diesem Jahr erneut dramatisch verschlechterten. Die von der Wirtschaftswoche genannten Betriebe dementierten und beteuerten gegenüber der taz, die Verträge erfüllen zu wollen – auch wenn das Ost-Geschäft in einigen Bereichen nicht den Erwartungen entspricht. Verkalkuliert hat sich beispielsweise die Mannesmann-AG bei der Übernahme des Röhrenwerkes Zeithain in Sachsen. Seit die Tschechoslowakei ähnliche Röhren nach Deutschland liefert und das GUS-Geschäft weggebrochen ist, fällt es dem Unternehmen schwer, die sächsischen Röhren loszuwerden. Andererseits, so ein Mannesmann-Sprecher, würden bei den teils übernommenen, teils neu aufgebauten Gesellschaften die Geschäfte besser laufen, als zuvor gedacht. „Wir wollen keine Nachverhandlungen“, sagte der Sprecher, „im Gegenteil, wir verhandeln mit der Treuhand über neue Engagements.“ Die 3.000 Ost-Arbeitsplätze des Konzerns seien übrigens mehr als die zugesagte Zahl.

Die neuen Unternehmen, so ein Sprecher der Deutschen Babcock, würden „systematisch eingegliedert“, insgesamt liefe dieser Prozeß „ganz gut“, mit den 6.800 Beschäftigten im Getriebewerk, der Gießerei und dem Rohrleitungsbau würden keine Verluste erwirtschaftet. Der größte Ost-Investor Siemens (1 Milliarde DM, 18.000 Arbeitsplätze) räumt zwar Verluste in den neuen Ländern ein, es gebe aber mit der Treuhand „keinerlei Nachverhandlungen“.

Es könne ja auch nicht angehen, daß Westfirmen ihre Ost-Zukäufe einfach zurückgeben, meint Treuhandsprecher Wauschkuhn, zumindest nicht bei kapitalkräftigen Großunternehmen, die schließlich vorher gewußt hätten, daß sie nicht so schnell in die Gewinnzone kommen würden. Dennoch könnte durch das Ostmärkte-Desaster manch eine Firma wieder bei der Berliner Behörde landen, zu treuen Händen. Die Märkische Faser AG ist so ein Fall, den die Treuhand noch längst nicht losgeworden ist. Zum 1.Januar hatte das Schweizer Handelsunternehmen Alcor die Chemiefirma für fünf Millionen Mark übernommen und Investitionen von 100 Millionen Mark zugesagt. Alcor bekam 1991 den Zuschlag, weil sie Lieferverträge über 100.000 Tonnen Chemiefasern jährlich an die Sowjetunion vorlegen konnte. Doch genau einen Tag, nachdem die Bundesregierung bekannt gegeben hatte, keine weiteren Hermesbürgschaften für GUS-Exporte mehr erteilen zu wollen, bekamen die 2.155 Beschäftigten die Kündigung. Nach einer Betriebsbesetzung im September sagten Treuhand und das Land Brandenburg zunächst den Weiterbetrieb für einen Monat und 25 Millionen Mark zu. Weil Alcor jedoch keinen Absatzmarkt mehr sieht, werden sie die Firma zurücknehmen müssen — oder Konkurs gehen lassen.