Tod, wo ist dein Stachel! Hölle, wo ist dein Sieg!

■ Betreffend die Allerletzten Dinge: das neue bremische „Gesetz über das Leichenwesen“ / Es gibt ein Leichenwesen nach dem Tod

hierhin

bitte

das

Foto

mit Säulen

Frau

und Totenschädel

Huch — schon so spät? Foto: Katja Heddinga

Denn alles Fleisch, es ist wie Gras. Und alle Herrlichkeit des Menschen ist wie Grases Blumen: Menschliche Leiche im Sinne dieses Gesetzes ist der Körper einer verstorbenen Person, bei dem der körperliche Zusammenhang noch nicht durch Verwesungsprozeß völlig aufgehoben ist. Als menschliche Leiche gilt auch ein Körperteil, ohne den ein Weiterleben nicht möglich ist. (§ 1, „Begriff der Leiche“)

Ich, Endesunterfertiger, im Vollbesitz meines körperlichen Zusammenhangs, erkläre hiermit, daß mich kaum ein Werk der neueren Epik tiefer gerührt hat als das neue bremische „Gesetz über das Leichenwesen“, welches, wenn die Bürgerschaft es billigt, am 1. Januar 1993 in Kraft, ja ich darf sagen: in die Schranken treten wird. Taumle jetzo, alter Schnitter Tod und Schlotterbube! Schluß ist mit Wirrsal und Haareraufen! Ruhe herrscht im Hühnerstall! Was dir noch bleibt, ist eine Amtshandlung: Du schlurfst herbei, du knipst uns aus, aber alles weitere regelt ein Landesgesetz.

Wahrlich, wer das Werk nach sieben Seiten Gesetz und zwölf Seiten Erläuterungen wieder aus der Hand legt, ist aufs Erstaunlichste geläutert von Furcht und Weh und Ach. Und selbst die eklen Würmer sind uns nun nichts andres mehr als Verwesungsprozeßbevollmächtigte,die nun mal in einem fort eifern gegen unseren Zusammenhang, bis wir endlich vors Jüngste Gericht gelangen, um Berufung einzulegen. Notfalls genügt, wenn sonst nichts mehr vorhanden ist, bspw. eine Lunge als corpus juris. Und schon gar, wenn es nicht die Würmer waren, sondern die Bahn: In allen anderen Fällen, in denen der körperliche Zusammenhang nicht mehr gegeben ist (etwa bei einer sog. Bahnleiche oder bei Leichen nach einem Flugzeugabsturz) ist von einer menschlichen Leiche auszugehen mit der Folge, daß eine Leichenschau...durchzuführen ist. (Einzelbegründung zu § 1)

Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Hier wird wohl die unvergleichliche Passage mitgemeint sein, wonach auch ein Körperteil, ohne den ein Weiterleben nicht möglich ist, in den Rang einer rechtsfähigen Leiche erhoben wird. Ja, ich muß gestehen, daß mich unter all den Ausführungen zum Begriff der Leiche jene am stärksten aufgewühlt hat. O Mensch, rief ich mehrmals aus und schluchzte, willst du nicht einmal mehr bezüglich deiner selbst die Regeln des Bruchrechnens fürchten und lieben? Eins geteilt durch drei sind drei Leichen?

Als es mir wieder besser ging, schwor ich in meinem Ingrimm, daß ich diesenfalls Mittel und Wege finden würde, dereinst ganz allein sogar dreihundert Grabstellen in Bremen zu belegen und dreihundert Trauerreden zu erschleichen. Mittels Hirn, Herz, Leber, Lunge, allen meinen Wirbeln, Milz... aber wie ist es gleich wieder mit der Milz? Der erste von vielen noch entsetzlicheren Grenzfällen. Hat auch eine Milz, ohne die es vielleicht werweiß auch nicht geht, Anspruch auf Leichenschau (§ 5), Leichenpaß (§14, Abs.4), Begräbnis (§ 17), letzte Worte (§ 18, Abs.1)?

Anderes atmet hingegen die Klarheit des Ewigen: Werden z.B. einzelne Arme oder Beine aufgefunden, von etwaigen Augäpfeln und Zehennägeln zu schweigen, so sind diese nicht als menschliche Leiche im Sinne dieser Regelung anzusehen mit der Folge, daß an ihnen eine Leichenschau nicht durchzuführen ist. Was aber mit aller Gesetzeskraft das Häufchen Zehennägelschnipsel vor dem Leichenbeschauer schützt, kann natürlich keineswegs gelten, wenn z.B. ein Rumpf oder ein Kopf gefunden wird. In diesen Fällen ist der Tod mit Sicherheit eingetreten. (Einzelbegründung zu § 1) Man kann es einfach nicht bestreiten, so groß ist das Gesetz.

Und was es in steintafelschwerer Majestät verkündet, erläutern hinterher in kurzweiligem Parlando die „Einzelbegründungen“: Daß eine Leiche je nach Inhalt zu kennzeichnen ist, lesen wir da, und zwar weil evtl. im Einäscherungsfalle die im Herzschrittmacher enthaltenen Batterien bei starker Erhitzung explodieren und zu nicht unerheblichen Schäden führen können, und lieben das Gesetz umso mehr, trägt es doch väterliche Sorge, daß wir nicht auch noch im Augenblick des Verpuffens Peinlichkeiten machen.

Wir lesen, daß Leichen, Särge und Urnen nicht mit Stoffen behandelt werden dürfen, die geeignet sind, die Verwesung zu verzögern, und dürfen uns also, wenn schon Doping nicht gilt, wenigstens das Gießharz für Opi sparen; wir erfahren alles sowohl über die letzten als auch und gerade über die allerletzten Dinge: Es gibt, uns zum Troste, ein Leichenwesen nach dem Tod.

Die mit Abstand schönste Regelung aber formuliert § 9, Abs. 3 über die, na, Sie erraten es, die Todesbescheinigung, auszufertigen in vier Exemplaren, enthaltend je einen nicht vertraulichen Teil mit den unsterblichen Personalien und einen vertraulichen Teil mit Angaben zur Art des Todes und zu etwaigen Beschädigungen des körperlichen Zusammenhangs; kurz, der vertrauliche Teil des dritten vorgeschriebenen Exemplars ist kraft und lt. Gesetz einem geradezu heiligen Zweck geweiht: Dieses Exemplar des vertraulichen Teils der Todesbescheinigung bleibt auch nach einer Leichennachschau bei der Leiche und wird bei der Feuerbestattung mit verbrannt. Bei der Erdbestattung unterliegt es der natürlichen Zersetzung. (Einzelerläuterung zu § 9)

Wirklich, mir tritt schon wieder das Wasser in die Augen. Andere Zeiten wählten Schwerter, Schlachtrösser, Pökelfleisch und andere Schätze als Grabbeigabe. Und was nimmt unsereiner mit auf Fahrt hinaus ins All? Eine Bescheinigung (vertraulich). Manfred Dworschak