Hafen im Auge des Architekten

■ Architekten-Tagung über Stadtplanung im Bremer Hafen: ganz visionär / Häfen-Staatsrat legt Veto ein

Wenn Architekten und Städteplaner in Bremen könnten, wie sie wollten, würden sie den Europahafen mit einem Durchstich zur Weser verlängern, um so — mitten im Strom — eine Europainsel mit „Erlebnisräumen“ und „fußläufigem Freizeitangebot“ zu schaffen oder einen Grüngürtel von den Wallanlagen an Eduscho und Kelloggs vorbei bis zum Weserufer ziehen.

Und wer sagt denn, daß alles so bleiben muß, wie es immer war? Wahlweise würden manche auch Bürgerpark oder Flughafen an die Weser verlegen und so die ganze Stadtplanung neu aufrollen.

Etwa 70 Architekten aus Deutschland, Holland und Belgien hatten der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung und der Bremer Bund Deutscher Architekten eingeladen, um drei Tage lang Utopien für die Stadt am Strom zu entwerfen.

Ein 25 Hektar großes Gelände am Kopf des Europahafens soll nach einer Vereinbarung zwischen Hafensenator und Stadtentwicklungsressort aus der Hafennutzung herausgenommen und neuen Plänen zugänglich gemacht werden, und das „möglichst bald“, sagt Baudirektor Jürgen Kotthoff vom Stadtentwicklungsressort, „wenn wir wissen, was da hin soll“. Dafür braucht der Baudirektor Utopien und Visionen. Bei Planungen, die erst in 10 oder 20 Jahren Wirklichkeit werden, „kann man nicht so realitätsbezogen denken“.

Mit kleingläubigen Visiönchen, die sich auf die zunächst zur Verfügung stehenden 25 Hektar beschränken, gaben sich die eingeladenen Architekten und Städteplaner darum gar nicht erst ab. Sie alle verplanten großzügig über 200 Hektar Hafengelände rechts der Weser (ausgenommen den gewerblich intensiv genutzten Fabrikenhafen) und gleich noch den Hohentorshafen dazu, bauten Brücken zwischen linkem und rechtem Weserufer, ließen Wassertaxis und Fähren verkehren, lenkten Straßenbahnen über die Gleise der Hafenbahnen und schufen — ganz nebenbei — glasüberdachte Yachthäfen. Für Architekt Rosengart: „Angedachte Exklusivität, die ausfließen soll in den unterbelichteten Neustadtbereich.“

Wozu braucht Bremen Häfen ohne Schiffe, fragten die PlanerInnen, und das Hafen-Gelände mit seinen mehreren hundert Kilometern Schienensträngen schien sie zu poetischen Bestleistungen zu inspirieren: „Das Wasser reicht dem Land die Hand“, erkannte Stadtplaner Ronald Kirsch und überzog die „verschränkten Finger von Land und Wasser“ mit einem „Strickmuster“ aus Häuschen und Gewerbehöfen. Wohnen und Arbeiten, darin stimmten alle überein, muß sich nicht widersprechen. Rosengart forderte „hochqualifiziertes, diszipliniertes Gewerbe, imageträchtig und gut für die Außenwerbung“.

Spielerisch ging die Gruppe um den Antwerpener Architekten Jef van den Broeck mit dem „gelobten Land“ am Strom um: Bevor geplant werde, müßten die BremerInnen ihren Hafen erst mal entdecken, fanden diese PlanerInnen und schlugen vor, die 35.000 Sackkarren, die ungenutzt in einem Schuppen lagerten, zu einem Sackkarrenstau zusammenzustellen, die Güterwaggons zu einem Waggonberg anzuhäufen und mit Lastkränen ein Kranballett zu arrangieren.

„Die Hafenanlagen in Bremen werden Jahr für Jahr mit 12 Millionen Mark subventioniert“, stellte die Essener Planerin Marlene Zlonicky fest und schüttete den Europahafen kurzentschlossen zu. Bremen habe hier eine „einmalige Chance“, einen neuen, innenstadtnahen Stadtteil zu gestalten, mit dessen Umwandlung schon jetzt begonnen werden sollte.

Da mochte sich Gerd Markus, Staatsrat im Häfenressort, nicht zurückhalten. „Wo bleibt bei einem so starken Strukturwandel die wirtschaftliche Zukunft?“ fragte er. Dem Staatsrat schienen „ganz andere Themen als Freizeit und Kultur“ wichtig. Immerhin sei Bremen der größte Kaffeehafen Europas, referierte der Staatsrat sein - wie er selbst eingestand - neuerworbenes Wissen, und die 200 Hektar Hafenareal würden benötigt für die Schienen, auf denen die Güterwaggons entlangfahren, die Europa mit Kaffee versorgen. Stadtplanungs-Ideen können dem Kaffeestrom, der sich von Bremen nach ganz Europa ergießt, nur im Wege stehen. „Bitte setzen Sie sich so gut Sie können, mit den Realitäten auseinander“, forderte er die Architekten auf, „dann setzen wir uns so gut wir können, mit den Visionen auseinander“. Der Berliner Architekt Gerhard Spangenberg konterte: „Sie haben es hier mit jener komischen Spezies von Architekten zu tun, die mit dem einen Auge die Vision betrachten und mit dem anderen die Gleisverläufe.“ Diemut Roether