Verworren, spröde, zäh

■ Krämer und Albrecht versieben die Walküre in der Staatsoper

in der Staatsoper

Es donnert. Es blitzt. Im Orchestergraben tobt ein Gewitter. Ein geordnetes, bürgerliches Hamburger Gewitterchen; doch auf der Bühne bleibt es ruhig. Dort bewegen sich Gestalten mit abgezählten Schritten in stummer Pantomime über die nackte Bühne. Sie berühren dort ein Symbol, vollziehen hier eine Allegorie. Intellektuelles Kalkül gegen musikalische Stimmungsmache. Cool bleiben heißt ihre Devise. Mit diesem Auftakt vom „Ersten Tag aus der Trilogie“ (nach dem im April gezeigten „Vorspiel“ Rheingold) beginnt Günter Krämers Inszenierung der Walküre von Richard Wagner. Und sie beginnt damit programmatisch.

Der Tonsetzer und Schriftsteller Wagner hatte mit seinem vier Abende umgreifenden Gesamtmythos Der Ring des Nibelungen dem 19. Jahrhundert endlich politisch, menschlich und künstlerisch auf die Sprünge helfen wollen. In Gestalt eines Compositum mixtum mythisch aufgeladener Figuren germanischer Sagenwelt hielt er dem Gründerzeitkapitalisten „der Welt Anfang und Ende“ als Spiegel vor die Nase. Man reagierte mit Subskriptionsspenden für den Bau einer Kultstätte und pilgert bis heute nach Bayreuth, um vom Alltagsgeschäft der Geistes- und Kapitalverwaltung zu entspannen.

Daß Wagner selbst das mythisch-musikalische Drama als utopische Vorwegnahme eines herrschaftsfreien, rein menschlichen Gesellschaftszustandes ansah, der nur noch den sich selbst bestimmenden Menschen kennt, irritiert und irritierte stets wenig. Man macht sich da — und schon Adolf Hitler hat das getan, der Wagner über alles liebte — eine andere Eigenschaft des Mythos zunutze: „Daß er“, so Wagner, „jederzeit wahr und sein Inhalt für alle Zeiten unausschöpflich“ ist.

Gerade dieser Anspruch auf Wahrheit und Erlösung aber wurde zur Projektionsfläche diverser Weltanschauungen, die je „ihren“ Wagner zelebrierten. Die Rezeption hängt diesen Opern an wie Alberichs Fluch dem Ring: Eine „ideologiefreie“ Interpretation gab oder gibt es nicht. Genau dies aber scheinen Krämer und die Mannschaft der Staatsoper zu glauben.

Durchweg hat man den szenisch vorgegebenen Bühnenraum abstrahiert, die Bühne fast leer gelassen oder sparsam nur mit einzelnen Symbolen ausgestattet: mit einem Miniglobus, einer geheimnisvollen Pyramide, einem gigantischen Schlachtroß-Mobile, das von der Decke baumelt, oder — durch alle Bilder hindurch — einem obskuren Kreidemann aus Plexiglas.

Durch manche der raumgreifenden Illustrationen wird Krämer gezwungen, die Szene auf der Vor-

derbühne spielen zu lassen: Der Raum des Geschehens wird flach wie das Vorgeführte selbst. Das holde Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde bekommt zwei Meter tief und zwölf Meter breit, um seinen inzestuösen Flirt über die Rampe zu bringen. Die nackte Szene für Gefühle pur. Die allerdings entfalten sich so konventionell, einfallslos und abgehangen, daß der ganze erste, dieser so hinreißende Akt zum Hohelied der Langeweile wird.

1Und nicht nur der erste Akt. Fünf lange Stunden quält sich die Geschichte voran, verworren, spröde, willkürlich. Kein Augenblick, in dem überhaupt nur ein Spiel der Akteure miteinander gelänge, in der die „Logik“ der Musik aufgenommen wäre und ihr szenisches Äquivalent gefunden hätte. Der Reißer aller Reißer, vulgär und brutal, der Walkürenritt: verschenkt! — wiederum der Platz der Vorderbühne, diesmal für acht

1Walküren. Stehend exekutiert man als verkleideter Chor dieses Stück Furor teutonicus.

Ein Theater insgesamt, das Modernität und Sachlichkeit in seiner Formensprache suggeriert — und doch auch nur Ideologie ist: Das reine Ritual der Oberflächlichkeit. Musikalisch überdies von einer Dürftigkeit, die alles zu wünschen übrig ließ. Am Ende: kräftige Buhs für Albrecht und Krämer. Stefan Rosinski