Der Sieg des Waldspaziergangs

■ Das Hollerland: Vom Baulandskandal zur ökologischen Modellsiedlung / Spatenstich in historisches Sumpfgebiet

Der Sieg des Waldspaziergangs

Das Hollerland: Vom Baulandskandal zur ökologischen Modellsiedlung / Spatenstich in historisches Sumpfgebiet

In ein geschichtsträchtiges Sumpfgebiet sticht Bausenatorin Evi Lemke-Schulte heute mit dem Spaten. Im Hollerland beginnt die Bremer Wohnungsbaugesellschaft Gewoba nach 25 Jahren der Planung, Verfilzung, Skandalen und Kampf für Flora und Fauna mit dem Häuslebau.

Am Anfang stand der „Baulandskandal“: Die halböffentliche Grundstücksgesellschaft „Weser“ erwarb 890.000 Quadratmeter Feuchtgbiet und verkaufte sie mit 40 Prozent Gewinn an die Neue Heimat und deren Tochterfirma Bremer Treuhand GmbH weiter — obwohl die landwirtschaftliche Nutzfläche nicht als Bauland ausgewiesen war. Über die Schiebereien zwischen Stadt, Gewerkschaftskonzern und Grundstücksgesellschaft stürzte damals nur ihr Entdecker, der FDP-Fraktionsvorsitzende Paul-Heinz Schubert.

Am Ende soll eine ökologische Mustersiedlung stehen, was bundesweit Aufsehen erregt: autofrei, mit Fernwärme beheizt, und — Gewoba-Geschäftsführer Eberhard Kuhlenkampff verzieht die Mundwinkel — „meinetwegen auch mit Solardingern auf dem Dach“.

Dazwischen liegen etliche Bebauungspläne und 14 Jahre Kampf der Bürgerinitiative für die Erhaltung des Hollerlandes. In den Sechzigern träumte der SPD-Fraktionsvorsitzende „König“ Richard Boljahn noch von einer „Hollerstadt“ für 100.000 EinwohnerInnen. In den Siebzigern war von einem „Venedig des Nordens“ mit Regatta-Strecke die Rede, einer Siedlung für wenige Glückselige. 1978 wurden neue Pläne für die Bebauung des Feuchtgebietes öffentlich und riefen die Bürgerinitiative auf den Plan. Ein Gutachten, das der Bremer Bausenator Hans-Stefan Seifriz in Auftrag gegeben hatte, bestätigte den Erhaltenswert des Feuchtbiotops. Doch bis das Hollerland tatsächlich von Amts wegen unter Naturschutz gestellt wurde, sollten noch vier Jahre vergehen.

Vorerst schienen Hollerland und Bürgerinitiative befriedet. Doch einen breiten Streifen zwischen Autobahn und Lehester Deich behielt sich die Baubehörde als „Wohn-Gewerbe- Mischgebiet“ vor. Aus Feuchtwiesen und Pappelwald sollte laut Flächennutzungsplan von 1983 Wohngebiet werden. Im April 1989 beschloß die SPD, im Hollerland 600 Wohnungen zu bauen. „Das darf nicht passieren“, sagte Gerold Janssen, der spiritus rector der Bürgerinitiative. Aber nach zehn Jahren Kampf „war die Luft raus“. Flugblätter allein konnten Fauna und Flora nicht mehr retten.

Also führte der Naturschützer den Waldspaziergang als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln in die ökologische Bewegung ein: Vier Monate lang begleitete er Bremer PolitikerInnen durchs Hollerland: Den SPD-Fraktionschef, den Deputationssprecher, den Bausenator, die Herren Senatsdirektoren und die vom Stadtplanungsamt, die Partei-PolitikerInnen aus den Beiräten und die Herren von der Handelskammer. Bald standen die Herren und Damen Entscheidungsträger beim Wanderführer Schlange und zeigten sich von ihren VorgängerInnen wohlinformiert: „Zeig mir die Sumpfwurz“, baten sie ihren Begleiter. Der führte Listen und klügelte aus, wer nach wem den Gang zum Pappelwäldchen antreten sollte. Nur Klaus Wedemeier hat den Naturschützer zweimal versetzt.

Und dann kam die legendäre Nachtsitzung, am 5. Oktober 1989, in der Bausenator Konrad Kunick und Hollerland-Aktivist Gerold Janssen einen gemeinsamen Kompromiß ratifizierten: Das Pappelwäldchen bleibt, eine ökologische Pufferzone soll reine Natur und Wohnen trennen, der Wasserhaushalt darf nicht beeinträchtigt werden, gebaut werden soll möglichst ökologisch.

Nach dem heutigen Spatenstich sollen für den Wohnbedarf der nahen Uni zunächst 67 „Kleinwohnungen“, a 26 Quadratmeter, komplett mit Bad und Kochnische, entstehen. „Wenn der Bedarf sich ändert“, können sie, so Gewoba-Pressesprecher Ullrich Höft, vergrößert werden. Mit Wohnberechtigungsschein können auch Studenten dort einziehen. Quadratmeterpreis: 11 Mark. Das mit dem ökologischen Bauen ist für den Gewoba-Sprecher „im Moment noch absolute Zukunftsmusik“.

Diemut Roether