Gegen das Bild vom „wehrlosen Opfer“

■ Interview mit einem Autonomen, der am Wochenende nach Greifswald fuhr

In Greifswald gibt es seit einer Woche immer wieder Angriffe auf ein von ausländischen Studenten bewohntes Heim. Die Polizei verhielt sich bisher eher zurückhaltend. Letztes Wochenende wurden erneute Ausschreitungen befürchtet. Grund genug für 50 Berliner Antifas, nach Greifswald zu fahren. Die taz sprach mit einem von ihnen.

taz: Ihr seid am letzten Samstag nach Greifswald gefahren. Was hat euch letztlich zu diesem Schritt bewogen?

Justus: Nachdem wir gehört haben, daß dort schon mehrere Tage lang ein ausländisches Wohnheim angegriffen wurde und daß für Samstag abend eine Gegendemo von den Ausländern und Greifswalder Antifas geplant war, sind wir dann losgefahren, übrigens auch, um uns nachts vor das Heim zu stellen.

Welches Bild bot sich euch?

Das Wohnheim liegt in einem Neubaugebiet, ungefähr drei Kilometer von der Innenstadt entfernt. Gegenüber ist eine Disco, in der Ausländer unerwünscht sind. Als wir am Samstag kamen, hatten sich bereits 150 rechte Jugendliche versammelt, ohne daß die Polizei eingegriffen hätte. Zusammen mit den ausländischen Studies ist es uns dann gelungen, die Faschos zu vertreiben. In dieser Nacht ist dann auch nichts weiter passiert.

Wie verhielten sich die AnwohnerInnen?

Die machten einen unbeteiligten Eindruck. Viele der Faschos wohnen offensichtlich im Gebiet, zumindest ist die ganze Gegend mit rechten Parolen zugesprüht.

Die Bevölkerung hat also nicht eingegriffen?

Nein.

Wie haben euch die ausländischen StudentInnen empfangen, die in dem Heim wohnen?

Die meisten haben sich gefreut, daß Leute zur Unterstützung kamen, vor allem weil sie, um sich erfolgreich zu wehren, offenbar doch zu wenige sind.

Handelt es sich um ein reines Ausländerwohnheim?

Nein, dort leben zur Hälfte auch deutsche Studies. Jeweils ungefähr 350. Die haben sich allerdings mucksmäuschenstill verhalten und sich völlig rausgehalten. Die sind an den Bullen vorbei ins Heim geschlichen und haben sich verdrückt.

Was ist dein Resümee?

Offenbar ist es der Polizei am liebsten, wenn sich die „Betroffenen“ still verhalten und am besten ihr Heim gar nicht erst verlassen. Das ist ja auch der Grundtenor des Opferbildes, das in den Medien immer wieder vermittelt wird. In Greifswald dagegen haben sich die Ausländer zusammengetan, um sich auch aktiv gegen Angriffe zu wehren. Das darf natürlich nicht sein. Für die Polizei heißt das dann gleich, daß die Gewalt von beiden Seiten ausgeht.

Wollt ihr noch einmal nach Greifswald fahren?

Schwierig. Tatsache ist, daß die Ausländer in die Polizei kein Vertrauen haben und weiterhin auf ihre eigene Verteidigung angewiesen sind. Aber eigentlich sind hier die Greifswalder gefordert, nicht wegzuschauen, sondern einzugreifen. Interview: Uwe Rada