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„Verkehrspolitisch eine Katastrophe“

■ Interview mit Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Grüne/ Finanzplanung für den Ausbau von Bus und Bahn/ Vorhandenes Geld richtig verteilen

taz: Herr Cramer, für den Ausbau von Bus und Bahn bis zum Jahr 2000 fehlen 4,6 Milliarden Mark, die Bonn bezahlen soll. Ist diese Art der Finanzplanung seriös?

Michael Cramer: Berlin hat in Bonn regelmäßig Schiffbruch erlitten, wenn das Land mehr vom Bund haben wollte, als ihm zustand. Das wird in Zukunft so bleiben, denn die Finanzsituation in Bonn ist ähnlich dramatisch wie in Berlin.

Ihre Fraktion Bündnis 90/ Grüne kritisiert Verkehrssenator Herwig Haase unermüdlich, weil er den öffentlichen Nahverkehr zuwenig und mit falschen Schwerpunkten fördere. Trifft denn das „Acht-Milliarden-Mark-Programm“ auf die Zustimmung Ihrer Fraktion?

Von den verkehrspolitischen Zielen her ja. Aber was nützen Wunschzettel, wenn für die Verwirklichung das Geld fehlt. Finanziell abgesichert ist noch nicht einmal das „Minimalprogramm“ von 3,5 Milliarden bis zum Jahr 2000. Verkehrspolitisch ist dieses Minimalprogramm eine Katastrophe.

Im Grunde werden wichtige Lückenschlüsse, Neubauvorhaben und Sanierungen über das Jahr 2000 hinaus verschoben, nur der südliche Ringschluß der S-Bahn und der provisorische Ausbau des Nordrings der S-Bahn würde 1999 verwirklicht. Das liegt vor allem daran, daß allein die Tunnel für die Hauptstadt-Bahnen unter dem Regierungsviertel, die S21 und die U5 300 Millionen Mark verschlingen. Das kann Berlin sich bei der knappen Finanzdecke nicht leisten.

Was dann?

Der Bau neuer Straßenbahn-Linien kostet weniger als ein Zehntel des Baus von U-Bahn-Linien. Vor einem Jahr hat Herr Haase selbst noch gewollt, daß statt der U5 die Straßenbahn durch das Regierungsviertel fährt. Doch plötzlich konzentriert er sich auf das, was teuer und zeitaufwendig ist und für den Fahrgast nichts bringt.

Welche Kosten würden bei den Maßnahmen entstehen, die Sie bis zum Jahr 2000 für unbedingt notwendig erachten?

Mit den 3,5 Milliarden könnte man alle U- und S-Bahn-Strecken, die durch den Mauerbau gespalten wurden, wieder in Betrieb nehmen und die Verlängerung mehrerer Straßenbahn-Linien in den Westteil finanzieren. Das ist realistisch, wenn die Verwaltung sich beispielsweise bei Bahnhöfen mit dem Notwendigen zufrieden geben würde.

Sollte das Geld trotzdem nicht reichen, müßte zum Beispiel das Umweltticket innerhalb des S-Bahn-Rings als Parkausweis gelten. Das könnte Jahr für Jahr eine halbe Milliarde Mark in die Kasse der BVG bringen. 500 Kilometer Busspur brächten weitere 500 Millionen Mark. Und wenn im Straßenbau gekürzt würde — dieses Jahr werden 600 Millionen Mark ausgegeben – könnten über das unbedingt Notwendige hinaus auch wünschenswerte Projekte bezahlt werden. Das Gespräch führte Dirk Wildt.

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